Frieden denken

In einer seiner politischen Elegien vergleicht SOLON VON ATHEN (*um 640 v.Chr.) die Polis mit dem Meer: Von Zeit zu Zeit wird sie von Querulanten oder Demagogen aufgepeitscht; „doch wenn äußere Gewalt nicht sie erregt, wogt sie in friedlichster Ruhe“. Das Bild ist sprechend: Konflikte und Querelen, Aufstände und Bürgerkriege sind in Solons Augen stets die Ausnahme und nie die Regel.

Von sich aus neigt die Bürgerschaft zu Gleichgewicht und Frieden; ganz so wie der Leib des Menschen von Natur aus auf Gesundheit angelegt ist. Politik ist in den Augen Solon deshalb mit der Heilkunst zu vergleichen. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, durch Eingriffe gewaltsam einen gewünschten Zustand zu erzwingen, sondern das Gemeinwesen darin zu unterstützen, immer aufs Neue das ihm eigene Gleichgewicht zu finden – so dass es in „friedlichster Ruhe“ wogen kann.

Diese Denkweise mutet uns modernen Menschen naiv an. Unter dem Einfluss von Denkern wie Thomas Hobbes und Charles Darwin haben wir uns angewöhnt, das Leben als einen fortwährenden Kampf um Vorteile zu deuten und keineswegs als eine Friedensfeier. Und als ob es darum ginge, den hostilen Mindset der Moderne historisch verifizieren zu müssen, hat die Menschheit in den letzten Jahrhunderten eine blutgetränkte Geschichte von Kriegen geschrieben – aus Solons Perspektive eine Geschichte fortwährender Krankheit; wie sollte es anders sein, wenn wir in einem wunderlichen Salto mortale die Pathologie des Krieges zum Normalfall erklärt und das Heil des Friedens in ein naiv-romantisches Ziel verkehrt haben?

Hier sind der gesunde Menschenverstand oder die Weisheit eines Solon gefragt, die uns vor Augen führen können, wie es um Krieg und Frieden wirklich bestellt ist: Frieden ist politische Gesundheit, Krieg hingegen eine meist letale Krankheit. Wann werden wir das endlich begreifen und kollektiv gesunden?

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Christoph Quarch (*1964) ist Philosoph, Autor. Mit seinen Podcasts, Artikeln und Büchern erreicht er ein breites Publikum im gesamten deutschsprachigen Raum. Dabei aktualisiert er den reichen Schatz der europäischen Philosophie für die Welt von heute. Er lehrt Ethik und Wirtschaftsphilosophie an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland. Christoph Quarch gilt als einer der wenigen Platon-Experten im deutschsprachigen Raum. Er ist Gründer der Akademie-3 Stiftung Neue Platonische Akademie gGmbH | akademie-3.org zur Entwicklung eines geistigen Paradigmas für das digitale Zeitalter. | christophquarch.de

Die Macht des Friedens

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2 Kommentare zu “Frieden denken
  1. Andrea sagt:

    Mich irritiert dieses Bild. In meinem Verständnis sind Krankheitssymptome immer eine Folge eines aus dem Gleichgewicht geratenen Systems, welches der Heilung bedarf. Sie zeigen ein Ungleichgewicht an, aber sie sind nicht die Ursache des Ungleichgewichts…

  2. Andrea sagt:

    Und möglicherweise geht es darum, unterscheiden zu lernen wann ein Symptom der Heilung des Systems dient und wann es zur Zerstörung führen würde. Also die Dimension von Wertschätzung und Bekämpfung auszuloten. Und dabei den Fokus auf dem Gemeinwohl zu halten und diesem zu dienen.

    Danke für den Artikel, der mir diese morgendlichen Gedanken ermöglicht hat. Danke fürs Veröffentlichen und die Möglichkeit kommentieren zu dürfen. Für uns so selbstverständlich und doch so wertvoll.

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