Eine Oase entdecken – Vier Eichen und eine Bank

Foto: Miriam Licht

Auf Reisen in meiner alten Heimat verbringe ich gesegnete Urlaubstage auf dem Land in den bayrischen Voralpen. Eine Region, die ich als Münchner Kind kaum je erlebt habe. Das Leben unserer Eltern verlangte so gänzlich anderes als Ausflüge in die Natur. Doch nun bin ich hier. In mir ist helle Freude. Übers w-lan-freie Quartier, das ich notwendig brauche und genieße. Die grandiose Aussicht in die Berge, gefühlt so nah. Und wunderschön. Der Gesang der Vögel, der heimatlich klingt. Mein Alltagsverstand begreift kaum, wie es dazu kommt, dass alles nach Heimat riecht, schmeckt, klingt, schwingt. Doch jede Zelle weiß, dass ich wieder daheim bin.

Und zu all der Freude kommen drei gemeinsame Tage Urlaub mit meiner alten Schulfreundin. Gemeinsam haben wir als Schülerinnen in jungen Jahren zwei besondere Reisen unternommen. Eine mit Rucksack und Zelt per Bahn nach Italien. Eine andere mit dem Fahrrad und Camping durch Dänemark. Und jetzt erobern wir uns eine neue Form der Reise. Wir wandern mit dem Auto. Das ist so anders, als ich es als Frau der Öko-Generation lange Zeit vorstellbar fand und praktiziert habe. Und doch ein Geschenk, das ich dankbar anzunehmen beginne.

Auf einer klitzekleinen Ausflugsfahrt juckeln wir zunächst bergab bis ins nächste Dorf. Von dort weiter Richtung Schloss, das lange schon ein Schullandheim ist. Die Hitze ist gewaltig, es ist später Vormittag, bald Mittag. Ein schöner Wanderweg zu einer Bank bergan liegt ungeschützt in praller Sonne. Obwohl der Impuls da ist, ihn zu gehen, ist doch klar: das wäre zu viel. Mir selbst wäre die schattenlose Hitze zu heftig. Körperlich. Und meine Freundin, die mutige Seele, steht seit zwanzig Jahren im Abenteuer, mit Multipler Sklerose zu leben. Inzwischen geht nur noch wenig – was das Gehen anbelangt. Also wandern wir auf unseren vier Rädern mit 20 Kilometer pro Stunde weiter Richtung Wald. Genießen durch die weit geöffneten Fenster die wundervoll kühlende und hoch schwingende Atmosphäre. Halten an. Atmen. Freuen uns. Eine alte Quelle, heute unsichtbar, da modern gefasst, wird uns doch anschaulich durch ein Schild, das auf den „Quell-Topf“ hinweist, wie diese Art tiefer Quell-Natur-Brunnen genannt wird. Hier war eine wichtige Rosstränke für die Menschen, die die alte Salzstraße von weit her bereisten.

Als eine Reiterin auf hohem Ross ruhig und gelassen an uns vorbei zieht, wirkt es auf uns so selbstverständlich wie schön. Dann ziehen auch wir wieder weiter. Verlassen den kühlen Wald. Fahren gemächlich hindurch zwischen Heuwiese und Weide. Ein paar Häuser, ein Dorf. An der Wegkreuzung eine kleine Kapelle. Wie mich das freut. Denn ich singe so gern Herzensgesänge in Kirchen. Spontan. Akustik, Atmosphäre und gelegentlich auch die Begegnung mit Zuhörer*innen schenken oft einen besonderen Segen. Leider ist das kleine Gotteshaus abgeschlossen. So wandern wir weiter. Und dann zeigt sich unser Platz.

Hügelan ist eine kleine, diesmal schattige, Baumgruppe zu sehen. Dort fahren wir hin. Von der kleinen Landstraße führt ein Feldweg an den Schattenplatz. Der aber ist schon belegt. Ein PKW steht dort. Als ich aussteige und den jugen Mann im Auto anspreche, meint er lächelnd, er hätte hier seine Mittagspause verbracht. Er zieht weiter, macht uns ganz selbstverständlich Platz für unser Ankommen. Glücklich können wir auch unser Auto im Schatten abstellen, was tatsächlich not tut in der massiven Hitze. Und vor allem ist nun der Weg kurz, den meine Freundin sich erobern kann. Inmitten von vier jungen Eichen: eine Bank. Robust und wetterfest steht sie da. Aber irgendetwas ist anders. Ein Gestell im Boden ist zu sehen, auf dem sie montiert ist. Wir fangen an zu lachen. Vor Freude und Staunen. Die Bank ist drehbar: Volle 360° kann sie leichtgängig so in die Landschaft ausgerichtet werden, wie mensch sich das gerade wünscht. Mit Blick in die Alpen oder Blick über Hügel und Land bis zum Hof in der Ferne. Mit Blick Richtung Wald oder hinüber ins Dorf. Ganz nach Belieben! Wir freuen uns, als hätten wir gerade eine Wochenkarte für den Rummelplatz geschenkt bekommen. So genial kommt uns dieses „Fahrzeug“ vor. Das an diesem Ruheort, inmitten dieser Oase mit Wildrosenbusch und voll Insekten- und Vögel-schwirrender Bäume wie ein Wunder ist.

Ein Messingschild erzählt uns, dass die Bank ein Geschenk für eine Einwohnerin zum siebzigsten Geburtstag wurde. Eine Wunscherfüllung, zu der ihr ganzes Dort beigetragen hat. Ich gehe erkunden, was noch zu entdecken ist: da steht auf hohem Bein ein wunderschön honigfarbener Holzkasten, briefkastenähnlich, mit Deckel und schönem Verschluss. Den öffne ich und finde ein Buch. Schön eingebunden, mit Stift und Lesebändchen. Viele Einträge sind darin. Und vornean erzählt die Jubilarin und Bankstifterin die Geschichte des Ortes. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin in einem regionalen Verein bekommt sie zum zwanzigjährigen Dienstjubiläum vier junge Eichen geschenkt. Mit der Auflage, selbst einen Ort zu finden, an dem sie gepflanzt werden sollen. Es entsteht die Idee, sie an einer Anhöhe, die nackt und blos daliegt, zu pflanzen. Das Einverständis der beiden Landwirte, deren Äcker rechts und links des Feldweges liegen, ist bald eingeholt. Alle sind einverstanden.

Und so kommt es, dass wir zwei Urlauberinnen zweiundzwanzig Jahre später in einer Idylle sitzen, einer Oase, die uns auf sehr besondere Weise berührt. Zu begreifen, dass es im Leben der Stifterin diese schöne Klarheit und eine relativ kleine Tat brauchte, um etwas in Gemeinschaft entstehen zu lassen, das täglich Menschen ankommen lässt. Genießen, sich freuen. Und jeden Augenblick hier als Geschenk erleben. Die vielen Einträge in ihrem „Gäste-Buch“ zeugen davon.

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18 Kommentare zu “Eine Oase entdecken – Vier Eichen und eine Bank
  1. Claudia sagt:

    Liebe Miriam, die Oase deiner Erzählung an diesem Morgen zu entdecken ist eine tiefe Freude.
    Danke für das so wunderbar formulierte Teilen deines/eures Erlebnisses. Es ließ mich Platz nehmen auf dieser Bank, um meinen Blick in alle Richtungen schweifen zu lassen.
    Hab Dank für diesen schönen Ausflug.

  2. Agnes sagt:

    Liebe Miriam,
    1000 Dank! Dein Erzählen ist so wunderschön und berührt mein Herz. Und ja, deine Freude, deine Dankbarkeit, dein Staunen, deine Achtsamkeit … es schwingt durch deine Worte zu mir. Was für ein Geschenk 🙏🏼

  3. Dagmar sagt:

    Liebe Miriam,

    auch ich bin tief berührt von der Schönheit und dem Zauber Deiner Schilderung….mit Tränen in den Augen und einer süßen Sehnsucht im Herzen fühle ich mit Euch…..erlebe ich mit….

    Das Wort “Sommerfrische“ und “Muße“ schwingt sich dazu ein…..soo schöööön….

    Ganz herzlichen Dank fürs Teilhaben dürfen!!! Wie nährend !!!

    Dagmar

    • Miriam sagt:

      Dank dir, liebe Dagmar! Es ist ein großes Staunen in mir, wie Worte es vermögen zu berühren, zu verbinden, ins Miteinander zu führen. Auf so vielfältige Weise. Ja – „Sommerfrische“ und „Muße“, genau so war das. UND nährend!

  4. Erika Muss sagt:

    Liebe Miriam,
    ein wunderschöner Bericht der den Tag mit Freude, offenem Herzen und offenen Augen beginnen lässt!
    Ich fühle mich dadurch zurückversetzt in meine Jugend, habe aber das Glück – je nach Sichtweise- immer noch in meinem Heimatdorf zu leben! Ich genieße es jeden Tag und bin voll Dankbarkeit!
    Alles Gute für euch Freundinnen und herzlichen Dank💗💗💗

  5. ANGELIE sagt:

    ein wundervolles Ausflugs-ERLEBEN an dem DU mich teilnehmen lässt, liebe Miriam 🌸sanft und schenkend in der Weise wie sich die Schönheit des Alpenvorland auch mir immer wieder zeigt, das ich intensiv rätseln tu, wo ich Panorama Bank unter den Eichen stehen mag. Wer weiss vielleicht bin ich doch mal mit Zufall in der Nähe.Ich tippe stark auf die weiten herrlichen Höhen oberhalb des Starnberger Sees westlich, oder Ammerseeregion bis hin zum Pfaffenwinkel ?
    Sehr berührend voll dankender Bewunderung, wenn und wie sich ländliches Gemeindewesen Natur-und Heimatpflege stärkend und unterstützend erhalten kann. Herzliches Danke 🌱

    • Miriam sagt:

      Liebe Angelie, die vielen segensreichen Orte, Bänke, Augenblicke sind so reich. Da mag ich’s offen lassen, wo diese Oase zu entdecken sei. Als Inspiration, die eigenen Entdeckungen im jeweiligen Hier und Jetzt zu genießen, wahr und da sein zu lassen. Der Freude Raum zu geben. Und womöglich als Inspiration – für mich selbst und andere – selbst Oasen der einen oder anderen Art entstehen zu lassen. Sonnengrüße zu dir!

  6. Doris sagt:

    Liebe Miriam,
    Jaaaa, wie nährend, wie klug erzählt. Selber habe ich eine Freundin mit dem Abenteuer MS und weiß ziemlich gut, wie es ist gemeinsam auszuschwärmen. Jeder Moment ist doppelt kostbar.
    Vielen Dank für Dein zauberschönes Teilen!!!
    freudige Grüße, Doris

  7. Viola sagt:

    Mein DANKBARES Lächeln – für dein Erzählen – liebe Miriam – findet gerade kein Ende.
    „ES“ liebkoste ALLE meine körperlichen Muskeln, und der Herzmuskel stimmte sich im wohligen EINVERSTANDEN-SEIN – mit ein. Möge dieses Lächeln alle Lesern/innen erreichen.
    Herzliche Grüße zu dir
    Viola

    • Miriam sagt:

      Welch ein Staunen, dass Erzählen Muskeln zu liebkosen vermag. Was für ein schönes Fühlen, Spüren, Wahrnehmen! Ein Lächeln zu dir, liebe Viola

  8. Rotraud sagt:

    Gerne schließe ich mich meinen Mit-Frauen an, die diesen wundervollen und Herz berührenden Ausflug zur idyllischen Bank miterlebt haben wie ich. Es ist magisch, finde ich, wie durch das Mitteilen so eine Gemeinschaft entsteht. Das alles haben wir dem Internet zu verdanken, was uns viele Möglichkeiten bietet, wenn wir sie weise nutzen.
    Herzensgrüße an euch alle, Rotraud

    • Miriam sagt:

      Ja, das ist wirklich wunderbar, wie wieviele auf dieser newslicht Bank Platz finden und sie voll Freude genießen. So viel wohlige Verbundenheit!

  9. Liebe Miriam!
    Auch wenn ich ein absolutes Wasser- und Küstenkind bin und der Wind und die salzige Luft seit Generationen in der Familie Heimatgefühle auslöst, ist mir deine Beschreibung so vertraut. Nicht der Blick auf die Berge ist es, sondern die Beschreibung, dass es einfach nach Heimat riecht.
    Ich wusste lange nicht, wie lange der wohltuende Salzgeruch in der Familie verankert ist, aber gerochen habe ich es schon immer.

    Herzensgrüße und einen fluffigen Sommer
    Imke

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