Ein großer Moment für Hebammen auf der ganzen Welt

Vertreterinnen der Organisationen Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands, Deutscher Hebammenverband und Hebammen für Deutschland e.V. mit dem Antrag an die UNESCO

Die Hebammenkunst wurde in die Internationale Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen. Dazu ein persönlicher Kommentar von Basilissa Jessberer Mich hat diese Nachricht sehr gefreut, berührt und mir Hoffnung gemacht. Ich bin seit 35 Jahren Hebamme und unendlich glücklich darüber, so viele Seelen von dort nach hier begleitet zu haben, auch wenn ich inzwischen mehr als Seelenhebamme am Ende des Lebens arbeite. Wenn ich meine Hände betrachte, mich daran erinnere, dass diese Hände mehr als 500 Kinder als erstes in dieser Welt berührt haben, dann weiß ich sie gesegnet, weiß ich mich gesegnet.

Ich selber bin zu dem Beruf durch einen Artikel gekommen über eine freiberufliche Hausgeburtshebamme. Genau dieses Hebammenwissen, die Verbindung von wissenschaftlichem Arbeiten, hervorragend medizinischem Know how und der tiefen Intuition, dem uralten Frauenwissen, dem Wissen über die Bedeutsamkeit dieses Momentes hat mich berührt und fasziniert. Ich hatte die Idee, dass ich mir genau so eine Lehrmeisterin, eine Ausbilderin und Mentorin suche, dass dann auch noch so etwas wie eine Berufsschule dazu kommt, damit habe ich gerechnet.

Womit ich nicht gerecht hatte war, dass es eine Ausbildung nur in der Klinik ist, nur dieses klinische Wissen von medizinischem Klinikpersonal vermittelt wird. Und doch war der Ruf so laut, dass ich mich in ganz Deutschland beworben habe und einen Ausbildungsplatz bekommen habe. Die folgenden drei Jahre gehören immer noch zu den härtesten meines Lebens. Die tiefe Fassungslosigkeit, wie die Frauen behandelt wurden und noch viel mehr wie diese Seelen hier begrüßt und behandelt wurden, hat mich so manches Mal vor meinem Dienst an der Kliniktür zögern lassen. Doch der Ruf war zu laut …

Von dem Wissen, der Weisheit, der Kunst der Hebammen habe ich in diesen drei Jahren wenig gehört, so gut wie gar nichts vermittelt bekommen. Eine ältere Hebamme, die aus Osteuropa kam, und dort anders, mehr nach dieser Kunst gearbeitet hat, hat mich eines Nachts, wir waren alleine im Dienst, gefragt, ob sie mir einmal zeigen soll, wie Geburtsbegleitung wirklich geht. Von der Nacht an habe ich immer versucht, mit ihr Dienst zu machen, besonders wenn sie Nachtdienst hatte. Ich habe von der Zeit zwischen den Welten erfahren, wo die Hebamme Vermittlerin ist, von dem tieferen Geschehen für die Familie und wie ich es mit Herz und Seele begleiten kann, seltene und kostbare Momente in der harten Zeit.

Nach dieser Zeit bin ich sofort in die freie Praxis, durfte ein Jahr von einer sehr erfahrenen Hebamme lernen. Denn ich war mir bewusst, dass ich diese Kunst nicht erfahre, mir erschließe, wenn ich in der Klinik weiterarbeite. Ich durfte viel lernen, viel auch aus Büchern und anderen Quellen erfahren und manchmal gab es diesen Moment, dass ich das Gefühl hatte, an ein anderes, zeitloses kollektives Bewusstseinsfeld der weisen Frauen angeschlossen sein zu dürfen und ich hatte plötzlich Wissen und Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, von denen ich noch nichts gehört hatte.

Diese Jahre haben mich geprägt, mich geöffnet und geerdet und mich mit meiner Weisheit und Intuition tief verbunden. Mit dem Wissen vom Anfang bin ich dann ans Ende, zur anderen Geburt, gegangen und arbeite jetzt überwiegend am Lebensende.

Wunderbar, dass dieses kollektive Feld, diese zeitlose Weisheit anerkannt und als Kulturgut geschützt werden soll. Doch vielleicht ist das nicht genug. Auch in Deutschland ist die Hebammenausbildung seit 2023 vollakademisiert, was seine guten Gründe hat. Doch die Studierenden haben in der Praxis viele verschiedene Einsatzorte, wie mir erzählt wird, und so ist es fast nicht mehr möglich, eine intensive Mentorinsituation zu gestalten, in der genau dieses Wissen weiter gegeben wird, von Lehrerin zur Schülerin, so wie es lange Zeit war.

Das Studium hat wie jede Wissenschaft sehr viel Augenmerk auf die Studienlage, es werden viele Studien auch zur Hebammenkunst gemacht und doch frage ich mich, ob ihr darin wirklich gerecht werden kann. Die jetzigen Professorinnen und Ausbilderinnen habe selber noch anders gelernt. Was passiert, wenn die neue Generation übernimmt, wie viel bleibt dann erhalten? Eine Lösung dafür habe ich auch nicht parat, ich möchte nur darauf aufmerksam machen.

Und zum Schluss möchte ich noch ganz eindrücklich dafür aufstehen: Es reicht nicht, dass wir die immaterielle Hebammenkunst schützen, wenn wir die Hebammen nicht schützen. Solange es immer als erstes wir Hebammen sind, die angeklagt und verurteilt werden, wenn der Tod auch bei einer Geburt geschieht, wenn die Haftpflichtversicherung für Geburtshebammen fast nicht mehr bezahlbar ist, weil unser Stundenlohn immer noch unterirdisch ist, und diese Haftpflicht noch nicht einmal annähernd die Kosten übernimmt, wenn wir versuchen mit halbwegs heiler Haut da rauszukommen, solange ist die Hebammenkunst sehr gefährdet.

Solange die weisen Frauen, die „Hebammenkunst-Hüterinnen“ nicht mehr in die Ausbildung eingebunden werden, solange sichern wir nicht das Bestehen.

Solange diejenigen Hebammen, die es noch wagen, in der außerklinischen Geburtshilfe zu arbeiten – vielleicht auch weil in diesem Feld der meiste Raum für die uralte Kunst ist – inzwischen aber bei jedem Tun und Lassen fast gezwungen sind, sich zu überlegen, ob es bei einem möglichen Gerichtsprozess bestehen könnte, solange gehen wir das Risiko ein, dass die Hebammenkunst zumindest in Deutschland verschwinden wird.

Die Hebammenkunst als immaterielles Kulturerbe zu schützen ist ein großartiger Schritt, lasst uns die weiteren auch gehen.

Mit dankbaren Grüßen an alle Hebammen in der Welt, die diese Weisheit weiter hüten, leben und weiter geben.

Bassilia von Lichtschwelle.com

Hintergrund: Acht Länder aus vier Kontinenten haben gemeinsam dafür gearbeitet, dass das Hebammenwesen  auf die Repräsentative Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wird. Am 6. 12. 2023 wurden die Anstrengungen belohnt! „Hebammenkunde umfasst Kenntnisse und Fähigkeiten, die das Wohlergehen von Frauen, Säuglingen, Kindern und Familien fördern. Hebammen gewährleisten die Kontinuität der Betreuung und die Unterstützung während der natürlichen Prozesse von Schwangerschaft, Geburt und nach der Geburt. Sie nutzen evidenzbasierte Forschung, Intuition sowie empirisches und traditionelles Wissen. Das Hebammenwesen garantiert grundlegende Menschenrechte, insbesondere für Frauen. Die Hebammenkunst kann von Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht ausgeübt werden. Die Mehrheit der Hebammen waren und sind jedoch Frauen,“ so der UNESCO-Ausschuss.

Im internationalen Bewerbungsverfahren wird das Hebammenwesen auch filmisch vorgestellt:

UNESCO | Midwifery | English Subtitles from berg hammer film on Vimeo.

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6 Kommentare zu “Ein großer Moment für Hebammen auf der ganzen Welt
  1. Danke von Herzen, liebe Basilissa, für deine so klare Darstellung, worum es tatsächlich geht bei der Würdigung und Erhaltung des Hebammenwesens.
    Danke für deinen so deutlichen Hinweis darauf, dass dieser gerade erfolgte und wichtige Schritt der UNESCO, so positiv wie er ist, nicht mehr ist als ein erster Schritt, dem viele weitere folgen müssen, wenn die für die Menschheit so lebenswichtige Hebammenkunst wirklich erhalten werden soll.
    Allerdings spüre auch deutlich – gerade heute nach dem Lesen deines und Claudia Shkatov’s Artikel – dass es absolut möglich ist.
    Danke
    Das gibt so viel Hoffnung!

  2. Eine wirklich gute Nachricht! Danke Miriam für den Impuls und Basilissa für den Text!

  3. Anne sagt:

    Ihr Lieben,
    als ich diesen Text heute Morgen las hatte ich ganz klar das Bild, die Frauen und mit ihnen das alte Wissen, erwachen, erheben sich, zeigen sich. Auch wenn es „nur“ ein Schritt von vielen ist, die noch folgen dürfen. Das Urweibliche kommt in Bewegung. Die große tiefe Wunde beginnt zu heilen.
    Danke, für diese Botschaft!!!

  4. Miriam sagt:

    Liebe Basilissa, es ist mir ein Geschenk davon zu wissen, wie dein Weg sich fand, wie du ihn dir erobert hast. Ich verneige mich voll Dankbarkeit vor deinem starken Willen, auch durch solch extrem harte Zeiten hindurchzugehen und aller Schwierigkeit zum Trotz gleichwohl deinem Ruf zu folgen. Und deinem Wirken in all den Jahren und Jahrzehnten seither. Ich danke euch in tiefer Verbundenheit, meinen Hebammen Basilissa, Marga, Ruth und Gaby. Und der mir unbekannten Hebamme, die meine Mutter bei meiner Geburt begleitete. Euer tief verstandener Beruf ist lebenswichtig. Möge der Anfang des Lebens in tiefer Zuneigung zu den Wundern des Lebens für alle Zukunft aufs dienlichste liebevoll und zugewandt begleitet werden können von euch, den Hebammen, den Frauen von Anfang und Ende. Den Lebenskundigen. – In Trauer um die schwere Gewalt, die ich durch einen Klinikarzt erlitt während ich mein erstes Kind zur Welt brachte.

  5. Sabine sagt:

    Spontane Tränen der Freude. DANKE für diese wunderschöne Nachricht.

  6. Andrea sagt:

    Das ist ein großartiger Text, liebe Basilissa! Und ich habe tiefen Respekt vor den von dir genannten Punkten, die eben auch noch dazugehören und erfüllt werden müssen. Danke für deine Klarheit!

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