Nächtliche Verabredung in menschenleerer Landschaft

Foto: Deposit-Photos

Wie komme ich dazu, mich mit einem fremden Mann mitten in der Nacht in einer menschenleeren, dunklen Landschaft in Norwegen zu verabreden. Was ist geschehen? Auf meiner etwas überstürzten Reise nach Norwegen, um bei meiner erkrankten und hochbetagten Mutter zu sein, geht mein Koffer in Amsterdam verloren.

Da ich wichtige Sachen für anstehende Kurse, Artikel und Interviews drin hatte, bin ich nicht wirklich glücklich mit der Zusage des Flughafens, mir den Koffer später in meine Hütte nachzuschicken, denn dies könne durchaus eine Woche dauern. Außerdem ist die Hütte schwer zu finden und die Wahrscheinlichkeit, dass der Koffer später irgendwo umherirrt, recht groß.

Am Schalter des norwegischen Flughafens treffe ich auf einen besonnenen Mann der alten Schule. Offenbar erkennt er, wie verzweifelt ich bin. Später am Abend wird ein weiteres Flugzeug aus Amsterdam erwartet. Wenn ich Glück hätte, wäre der Koffer dann dabei. Darauf zu warten macht aber keinen Sinn, denn dann fahren keine Busse mehr zu meiner 1,5 Stunden entfernten Hütte und die Taxis sind in Norwegen astronomisch teuer. Der verständnisvolle Mann verrät, dass er in der Nähe meiner Hütte lebt und bietet an, den hoffentlich ankommenden Koffer privat in seinem Auto mitzunehmen, aber er hat erst spät in der Nacht frei.

Also fahre ich erst einmal ohne Koffer mit dem Bus Richtung Hütte. Es ist sehr regnerisch und kalt, die Eingangstür hat sich verzogen und ich komme nur mit roher Gewalt hinein.

Todmüde nach einer 15-stündigen Reise bleibe ich erst einmal wach, in der Hoffnung noch einen erlösenden Anruf zu bekommen – was auch geschieht. Der Koffer ist in Norwegen angekommen. Und so komme ich dazu, diesen freundlichen Menschen mitten in der Nacht in einer menschenleeren Landschaft entgegenzugehen, denn die Hütte findet er nun wirklich nicht allein. Er will noch nicht einmal etwas haben für diese sehr private Hilfe. Solche Menschen gibt es noch auf dieser Erde. Wenn das keine Hoffnung macht!

Zurück in der Hütte stelle ich fest, dass die Eingangstür so verzogen ist, dass sie sich nicht von innen schließen lässt. Ich sichere sie provisorisch mit einem Seil und bin so müde, dass ich mir sage, wenn mich jemand in dieser Nacht umbringen möchte, kann er es eben tun. Hauptsache, ich kann ein wenig vorher schlafen…

Auf dem Weg ins Bett will ich ein Buch aus dem Regal greifen. Ich finde einen Krimi über einen Mann, der seine Hütte von Einbrechern verwüstet vorfindet und dann noch entdeckt, dass in einer Nachbarhütte eine Leiche liegt, offenbar vorher gründlich gefoltert. Ich stelle das Buch zurück. Keine passende Lektüre für heute Nacht.

Noch was? Ach ja, die hintere Tür für den Weg zum Badehaus im Garten mit der einzigen Toilette lässt sich gar nicht öffnen. Um dorthin zu gelangen, muss ich also einen Umweg über Stock und Stein nehmen. Also nur im Hellen machbar, denn es ist gefährlich glitschig auf den Felsen. Aber ein Klo, das 24 Stunden am Tag erreichbar ist, ist ja nun wirklich ein Luxus.

Hast du noch nicht genug? Der letzte Straßenabschnitt zur Hütte hat keine Straßenbeleuchtung. Der Winter war hart und hat riesige Löcher im Schotterweg gerissen. Also stürze ich zu allem Überfluss in dieser ersten Nacht und komme etwas blutend und schmerzend an. Nun ja, wenigstens ist nichts gebrochen.

Wenige Tage später wird die Nachbarschaft zusammengetrommelt zu „dugnad“, ein freiwilliger Arbeitseinsatz, um die Löcher mit neuem Schotter auszubessern. Dafür bin ich jetzt nun wirklich motiviert, also schnappe ich mir einen Spaten und packe mit an…

Zum Schluss noch ein Nachwort an potentielle nächtliche Mörder (und zu eurer Beruhigung): Ich habe mittlerweile eine Lösung gefunden und alle Türen sind jetzt nachts verschlossen. Ihr müsst also erst richtig einbrechen und es dann mit mir aufnehmen…

Warum erzähle ich dir diese doch eher persönliche Geschichte? Viele Menschen wünschen sich ein ähnliches Refugium – vielleicht auch in einer einsamen Landschaft am Meer. Wenn ich davon berichte, sehen sie mich sinnierend und schreibend am alten Holztisch sitzend. Und dieses Bild gibt es auch. Aber diese Geschichte verrät die andere Seite davon – die Herausforderungen, die Mühen, die Ängste… Der Preis eben für Stille und Abgeschiedenheit. Und ich dachte mir, das sollte auch mal beschrieben werden.

Ich bin Vera Bartholomay – Autorin, Seminarleiterin und Therapeutin mit Themen wie persönliche Entwicklung und ganzheitliche Körperarbeit. Meine Seminare kannst du an unterschiedlichen Orten in Deutschland, manchmal in der Schweiz und demnächst in Italien besuchen. Meine Bücher sind: „Heilsame Berührung von Körper, Herz und Seele“, „Herzen berühren – Sehnsucht nach tiefen Begegnungen“ und „Projekt Sehnsucht. Ein Mutmachbuch für alle, die von der Selbstständigkeit träumen“.

www.vera-bartholomay.com

Sharing is Caring 🧡
Posted in Kolumne Verwendete Schlagwörter:
8 Kommentare zu “Nächtliche Verabredung in menschenleerer Landschaft
  1. Isa sagt:

    Wie geht es der erkrankten und hochbetagten Mutter, dem eigentlichen Anlass der überstürzten Reise nach Norwegen? Die ist im weiteren Verlauf der abenteuerlichen Reise nicht mehr aufgetaucht.

    • Liebe Isa, danke fürs Nachfragen! Ich habe bewusst keine weiteren Details zur erkrankten Mutter beschrieben, da ihre Situation absolute Privatsphäre ist und sie sich sehr dagegen wehren würde. Aber als Anlass für die überstürzte Reise musste sie erwähnt werden.
      Gruß, Vera

  2. Ursula sagt:

    Auch, wenn es für dich sicherlich enorm anstrengend und nervenaufreibend war, fand ich deine Geschichte doch jetzt sehr aufmunternd und ich muss lächeln. 😊 Irgendwie kommt doch immer Hilfe und Unterstützung von irgendwoher, wenn wir durch oftmals dunkle Täler schreiten und vor lauter Verzweiflung nicht mehr ein noch aus Wissen.
    Oft sind es die dunklen inneren Wälder und Täler durch die man geht und gehen „muss“, die einem zum Teil alles abverlangen. Wenn dann weder im Außen klare Lösungen sichtbar, noch im Inneren solche fühlbar sind, bleibt nur zu Vertrauen. Vertrauen und mit all dem im Innen und Aussen zu Sein. Das ist seit ein paar Monaten mein größter, herausforderndster aber auch zugleich heilsamster Transformationsprozess. Daher danke ich dir sehr für das Teilen deiner persönlichen Geschichte, die mir Mut und Hoffnung schenkt weiterzugehen und zu vertrauen. 🙏
    Ganz liebe Grüße, Ursula 🙋‍♀️

  3. Gesa sagt:

    Liebe Vera
    So ein wunderbarer Text – danke fürs sichtbar machen.! Ja, oft ist das Licht in der Dunkelheit erst beim Durchschreiten erkennbar. Es braucht Mut, Vertrauen und die Bereitschaft, der Angst in die Augen zu schauen. Dann werden wir reich beschenkt.
    Liebe Grüsse und bis bald
    Gesa

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.