„Was uns berührt“ – eine Anthologie, die glücklich macht

Wir berühren täglich unsere Smartphones und Computer, bedienen den Wasserkocher oder nehmen den Schlüssel in die Hand. Aber wie oft findet in unserem Alltag eigentlich echte Berührung statt? Berührung – im physischen und emotionalen Sinne? Sie ist zu einem raren und sehr kostbaren Gut geworden. In einer technisch immer besser vernetzten Welt, vereinsamen wir als Individuen. Ein Paradoxon, für das es eine einfache Lösung gäbe!

Im Jahr 2020, mitten in der Zeit der Kontaktbeschränkungen, war ich auf der Suche nach einem Verlag für meinen Debütroman „Unberührt“, in dem meine Protagonistin wiederum auf der Suche nach echter Berührung ist. Dabei bin ich über das Netzwerk Berührung e.V. gestolpert und war erstaunt, dass es einen gemeinnützigen Verein gibt, der achtsame Berührung in alle Schichten der Gesellschaft tragen möchte – insbesondere zu Menschen, die unter chronischem Berührungsmangel leiden! Wie genial ist das denn? Ich fand schließlich einen Verlag für mein Buch (APHAIA Verlag München) und wurde Mitglied im Verein, den es seit 2018 gibt.

Da ich unter den Mitgliedern als Autorin die einzige Person schien, die beruflich eher mit emotionaler als mit physischer Berührung zu tun hat – wollte ich wissen, wer die anderen Menschen sind, denen achtsame Berührung so am Herzen liegt. Deshalb habe ich 13 von ihnen diese Frage gestellt: Wer bist du und wie sieht deine Arbeit aus? und die Antworten im März dieses Jahres als Buch herausgebracht. Es heißt: „Was uns berührt“ und verspricht 13 aufregende Begegnungen mit spannenden Menschen.

In der Anthologie erzählt zum Beispiel Tobias Frank, der Gründer des Netzwerkes, von sich und seiner Arbeit: „Als Kind liebte ich Fantasy. Ich las den ‚Herrn der Ringe‘ und träumte davon, Zauberer zu sein. Heute verzaubere ich Menschen mit achtsamer Berührung und schenke ihnen magische Momente.“ Sinah Müller bezeichnet sich selbst als Entspannungstrainerin: „Berührt zu werden ist das Selbstverständlichste und das Seltsamste zugleich.“, erzählt die Saarbrückerin. „Trotz der Kleider fühlen sich viele nackt. Erst wenn sie sich in Sicherheit wahrnehmen, können sie entspannen. Dabei helfen Worte sehr.“

Sandra Walkenhorst ist Diplom-Sozialpädagogin und hat Thai-Kinderyoga in die Welt gebracht. „(…) es ist mir ein Anliegen, aufmerksam zu machen auf die Lebenswelt und -situation unserer Kinder und Jugendlichen.“, schreibt sie in der Anthologie.„Bei der Begleitung von Menschen treibt mich die Neugierde an, die Einzigartigkeit zu sehen und herauszufinden, welche besonderen Fähig- und Fertigkeiten er oder sie hat. Ich denke dieses Den-Menschen-Sehen berührt viele, da das etwas ist, was wir alle nicht so häufig erleben.“

Die Sexologische Körpertherapeutin Nicole Schuttenberg ist Tantramasseurin und ehrenamtlich Sterbebegleiterin. Damit verbindet sie zwei Bereiche, die auf den ersten Blick völlig unvereinbar erscheinen. Auf den zweiten Blick sind beide zutiefst menschlich: „Es erfüllt mich sehr, dass ich Räume schaffen kann, in denen Menschen einfach sein dürfen, ohne etwas zu leisten.“, erzählt die Stuttgarterin. „Räume, in denen Neugier, Freude, Glück und Sinnlichkeit, aber auch Schmerz, Wut und Trauer ihren Platz haben. Ich empfinde es als ein enormes Privileg, andere in diesen intensiven Erfahrungen begleiten zu dürfen.“

Auch die Begründerin von Thai-Kinderyoga, Sandra Walkenhorst, sagt: „Mich berührt, wenn Menschen etwas für andere tun, ohne Erwartung, sondern aus dem Herzen heraus.“ Vielleicht geht es bei achtsamer Berührung genau darum: sich zurückzunehmen und seinem Gegenüber selbstlos einen geschützten Raum zu geben.

Dorothea Ristau litt jahrelang unter einer Essstörung. Auf ihrem Weg zur Heilung hat sie die wohltuende Wirkung der Berührung erlebt und für sich entdeckt. Heute bietet sie in Dresden traumasensible Körperarbeit bei Essstörungen an. „Die Frauen, die zu mir kommen, tragen eine große Sehnsucht nach Berührungen in sich. Und gleichzeitig bringen sie aufgrund von schmerzhaften Erfahrungen (…) viel Angst und Abwehr mit.“

Die Beiträge in der Anthologie sind mit jeweils vier Seiten, die neben einem ansprechenden Foto aus drei Seiten Text bestehen, sehr kurzweilig und können nicht viel mehr als einen Eindruck vermitteln. Auch Prof. em. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen, der Gründer der „Deutschen Gesellschaft für Berührungsmedizin“, hat nicht mehr Platz, um auf meine drei Fragen zu antworten:

◆ Wer bist du und wie sieht deine Arbeit aus?

◆ Was oder wen berührst du regelmäßig und wie?

◆ Was berührt dich und was lässt dich unberührt?

Doch man bekommt Lust, mehr über die einzelnen Mitglieder und ihre Arbeit zu erfahren, so wie über den Berührungsforscher, der u.a. zusammen mit Claudia Berg die Slow Stroke© Massage entwickelt und die erste wissenschaftliche Studie an depressiven Menschen in Deutschland durchgeführt hat.

Dass psychosomatische Schmerzen, der Griff nach ungesunden Substanzen oder ein zerstörerisches sexuelles Verhalten Anzeichen für die fehlgeleitete Suche nach Nähe sein können, erklären Judith und Bernd Wachsmann in ihrem Beitrag. Das Kuschelteam aus Köln plädiert dafür, sich seinem Mangel an nährender Berührung bewusst zu werden, statt zu einem ungesunden Ersatz zu greifen.

Beim Lesen der Anthologie wird einem nicht nur die enorme Bedeutung, sondern auch die Macht von Berührung bewusst: Jede Berührung kann – wenn sie nicht im geschützten Raum und in gegenseitigem Einvernehmen ausgeführt wird – auch immer eine Gefahr bedeuten. Deshalb sind Respekt und vor allem die Achtsamkeit dabei so wichtig. Das regt zum Nachdenken an: Wie ist das eigentlich bei mir?

„Jede Berührung berührt, nicht nur den Körper, auch die Seele“, so heißt es im Klappentext des handlichen Buches. Ein gutes Gespräch, ein Spaziergang in der Natur oder Musik – es gibt so viel, das uns emotional anrühren und glücklich machen kann. Als Herausgeberin verspreche ich mir mit der Veröffentlichung von „Was uns berührt“ mehr achtsame Berührung in der Welt, die dadurch nur zu einem besseren Ort werden kann.

Was uns berührt 13 Begegnungen mit Menschen, denen achtsame Berührung am Herzen liegt – Eine Anthologie –
Herausgegeben von Agnes Gerstenberg in Kooperation mit dem Netzwerk Berührung e.V. Story.one, Hardcover, 80 Seiten, 18€
ISBN: 9783711509154 ab 1. März 2024 überall im Handel
Besonders autorenfreundlich erwerben über den Shop der Autorenwelt, da verdienen Autor*innen doppelt.

 Agnes Gerstenberg wurde 1985 in Berlin geboren und schrieb mit 18 Jahren ihr erstes Theaterstück. Sie studierte Literatur- und Theaterwissenschaften an der FU Berlin und szenisches Schreiben an der UniT Graz. Sie war Stipendiatin im Stuttgarter Schriftstellerhaus e.V. und wirkte als Dramaturgin an verschiedenen Kinder- und Jugendtheatern in Deutschland. Ihre Theaterstücke wurden u.a. am Thalia Theater Halle aufgeführt und vom SWR als Hörspiel produziert. Mit „Unberührt“ veröffentlichte sie 2023 ihren ersten Roman. www.AgnesGerstenberg.com

Das Netzwerk Berührung e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der achtsame Berührung in alle Schichten der Gesellschaft tragen möchte. Dafür informiert und inspiriert er zum Thema Berührung, organisiert Veranstaltungen und vernetzt Bodyworker aus Deutschland miteinander. www.netzwerk-beruehrung.de

Sharing is Caring 🧡
Posted in Impulse Verwendete Schlagwörter: ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.