Regenfreude

Wenn so ein typischer Landregen sanft und stetig die Erde beschenkt, macht mir das Leben ein wundersames Geschenk. In einem einzigen Augenblick finde ich mich von der Müritz in die bayrischen Alpen versetzt. Unmittelbar und ganz ohne Zugreise oder Autofahrt lande ich – in meiner Kindheit.

In der Beglückung, als Münchner Schulkind in den Ferien bei meiner Oma im Zugspitzdorf Grainau zu sein. Durchs Küchenfenster den alten Bauernhof gegenüber zu sehen, dahinter den Höhenrain und den Kramer, hoch aufragend. Die Kanne in der Hand mit Oma zum Milchbauern ein paar Häuser weiter zu wandern, am frühen Abend. Die frische Kuhmilch gießt sie sorgsam in den breiten honigfarbenen Tonkrug auf ihrem Küchenbuffet. Daraus lässt sich am nächsten Tag dicker Rahm für Kaffee und Kuchen abschöpfen. Zum Einkaufen spazieren wir wochentags mit Beutel und Einkaufsliste zum Edeka um die Ecke, wo es Rabattmärkchen gibt. Begegnen wir unterwegs im Ort einer Freundin oder Bekannten meiner Oma, muss ich einen Knicks machen. Weil, so erklärt mir Oma ihre Welt, ich ein Mädchen bin. Oh wie fällt mir das schwer. Doch sie übt geduldig mit mir, bis ich es leidlich kann.

Wann immer in solchen Ferien meiner Kindheit der Landregen meiner Omas Grainau beschenkt, dann gluckst und gluckert es all überall. Dieses wundersame Konzert aus einer grandiosen Fülle an Tropf-, Trommel- und Glucksgeräuschen ist ein Vielklang und Rhytmus, der auch durch die geschlossenen Fenster zu hören ist. Erst recht wenn sie offen sind, beim ausführlichen Lüften morgens und abends. Oder wenn wir für eine Verabredung in unseren durchsichtigen Regencapes den langen Spaziergang, aus dem Ort hinaus entlang der Wiesen, bis in den Wald zu Tante Margrits dunklem Holzhaus am Hang machen. Sie ist meine Großtante und eine so fromme Frau, dass ich an ihr staunend erlebe, dass es da offenbar allerlei fremde Welten neben meiner eigenen gibt.

Wenn ich bei meiner Oma zu Besuch bin, bin ich für diese Tage der Mittelpunkt ihrer Welt. Wundersam ankerndes Sein schenkt sich mir in ihrer bedingungslosen Liebe, ihrer herzwarmen Zuwendung. Diese Frau, die für ihre eigenen Kinder eine so schwierige Mutter war, beschenkt mich mit ihrer reinen Freude an meinem Dasein. Sie umarmt mich warm, auf so vielen Ebenen. Inmitten all der ihr ganz eigenen Umständlichkeiten in Alltagsdingen ist sie ein Segensgeschenk für mich. Wie lieb wir einander haben.

Und mit jedem Landregen bin ich – schwups – bei ihr. Hör es aus allen Regenrinnen gucksen und gluckern. 

Ein Wimpernschlag nur. Und mit dem Konzert des Regens auf Hausdächern, Schuppenabdeckungen, aus Regenrinnen, Wassertonnen und in Gullis auf all den vielen kleinen Gehöften meines mecklenburgischen Ackerbürgerstädtchens ist die warme Erinnerung an meine Oma wieder da und ganz gegenwärtig.

Wärmt mich von innen. Umarmt mich voller Liebe.