Gefühle beim Müll einsammeln

Lesezeit 3 Minuten –

Gestern früh beobachtete ich mich dabei, wie ein Gedankenkarussell zu den verschiedensten Entscheidungen in mir losging. Das Karussell wollte mir einreden, dass jede dieser Entscheidungen lebensentscheidend wichtig war und begann, mich ganz kirre zu machen. 

Meine Erfahrung zeigt, dass aus diesen Gedankenschleifen selten Konstruktives entsteht und so traf ich die Entscheidung, mich nicht weiter um mich selbst und meine ach so wichtigen Themen zu kreisen, sondern stattdessen einen Haufen Müll im Wald zu beseitigen, der mir ein paar Tage zuvor aufgefallen war.

Gesagt, getan. Ich packte einen Handschuh und Mülltüten und begann mit der Aufgabe. 

Dabei spürte ich, wie das Einsammeln die unterschiedlichsten Gefühle in mir hervorrief. 

Eine Vielzahl von Gefühlen

Zunächst war in mir Zufriedenheit, weil ich den Wald von dem Unrat befreite. 

Dann steig in mir Wut auf angesichts der vielen Dinge, die sich zeigten und auch angesichts der schieren Menge an Müll, die durchaus vermuten ließ, dass hier jemand bewusst Müll abgeladen hatte.
Als Nächstes überfiel mich Ekel. Benutzte Einwegrasierer und eine undefinierbare Glibbermasse ließen mich erschaudern und mich außerdem die Dichtheit meines Handschuhs prüfen. Ich war angewidert.
Ich spürte Verurteilung und einen Anflug von Hass in mir aufsteigen: Hat jemand seine Mülltüte von zu Hause hier ausgeleert? Oder schmeißt jemand seinen Dreck einfach aus dem fahrenden Auto? Und überhaupt, warum produzieren wir Menschen soviel unnötige Produkte? 

Ich schüttelte es ab und ließ Besonnenheit einkehren. Dabei half mir der Gedanke „Nicht mein Müll, aber meine Erde.“ Liebe kehrte wieder ein und ich ließ mich nicht beirren, obwohl die Müllspur immer weiter in den Wald hineinführte.
Anschließend kam der Humor zu Besuch. In Anlehnung an „Kunden, die dieses Produkt kauften, interessierten sich auch für jenes.“ fielen mir Sätze ein wie „Menschen, die Weichspüler in den Wald werfen, schmeißen auch Schinkenverpackungen weg.“ 

Dann, als ich mich immer mehr durchs Gehölz arbeiten musste und es kein Ende nahm, überkam mich ganz plötzlich Hilflosigkeit und der Gedanke, an wie vielen Stellen unsere Erde soviel Müll von uns tragen muss. Eine tiefe Traurigkeit überkam mich.
Als ich schließlich einen Regenwurm erblickte, der sich zwischen einem Strohhalm und einem Stück Alufolie vorbeibewegte, war kein Halten mehr. Ich weinte und weinte angesichts dieser schreienden Ungerechtigkeit. Wie können wir dies nur unseren tierischen und pflanzlichen Mitwesen antun? Scham befiel mich. Tiefe, tiefe Scham.

Aufgeben?

Als ich meine Traurigkeit, Ohnmacht und Scham schließlich ausgeweint und integriert hatte, geschah etwas Wunderbares. Ich bekam einen kräftigen Energieschub, „jetzt erst recht“, holte das Auto, um die prall gefüllte Tüte nach Hause bewegen zu können, holte Tütennachschub und sammelte binnen kürzester Zeit zwei weitere Tüten ein – bis ich so weit keinen Müll mehr sehen konnte. 

Zur Resignation bin ich nicht bereit!

Im nächsten Moment meldeten sich tiefgehende Gedanken: Wenn Menschen so mit ihrer Mutter Erde umgehen, wie unendlich abgetrennt von ihr müssen sie sein, wie abgetrennt von sich selbst, der eigenen Urnatur?
Mitgefühl dehnte sich in mir aus. Mitgefühl, das immer wieder über die Tiere und Bäume hinaus auch zu den Menschen fließt, die dies verursachen. 

Als ich den Ort verließ, war ich dankbar. Dankbar dafür, diesen Liebesdienst am Wald verrichtet zu haben. Dankbar für das Gefühlsbad, in das er mich gebracht hatte. Dankbar für die Erkenntnisse und all den Müll, den ich auch aus mir entlassen konnte. 
Dankbar dafür, dass mein Gedankenkarussell vom Morgen längst Geschichte und der Hinwendung zum Wesentlichen gewichen war.

Sharing is caring 🧡
Jumana Mattukat
Jumana Mattukat

Seit drei Jahren lebe ich nun schon hier im Wald. Kein Tag gleicht dem anderen. Aber eines eint die glücklichsten Tage: ihre Einfachheit. Wenn Du mehr in die Waldenergie eintauchen möchtest: https://t.me/stimmedeswaldes. Oder mehr über alle unsere Projekte: www.steigerhaus.jetzt

32 Kommentare

  1. Danke Jumana
    es ist, als hätte ich den Text geschrieben, Du findest Worte die allgemein gültig sind. Vielen Dank, bin berührt…namasté!

  2. Von Herzen Danke fürs Teilen. „Gedankenkarussell “ ist in den letzten Tagen auch mein Thema. Deine Worte sprechen mich voll an und sind so hilfreich!

  3. Danke, liebe Jumana, für die wunderbare Beschreibung deiner Gefühle!
    Ich kenne dieses Hin und Her auch sehr gut. Ich sammle schon lange Müll auf, weil ich ihn einfach nicht liegen lassen KANN. Nach all den verschiedensten Gedanken und Motiven habe ich erkannt, dass ich das mach, weil es mir ein Bedürfnis ist. Meine Liebe zur Natur und meine Freude über Ästhetik. 🍀🌿🦋✨
    Namaste 🙏🏽💗

  4. In dem letzten Jahr war ich häufig so frustriert und hab viele Ideen, zur „Mülleinschränkung“ in der Natur wieder fallengelassen…
    Wir wohnen direkt an Feld, Wiese & Wald und nachdem ich schon öfter Zigarettenfilter und sonstige Kleinigkeiten aufgehoben hatte, hab ich das frustriert eingestellt, wegen des Gefühls, doch nicht dagegen anzukommen oder schlichtweg, weil ich in dem Moment nicht wußte, wohin damit.
    Nun nehme ich mir vor, mich mit Tüten zu bestücken und mich dem guten Gefühl hinzugeben, etwas getan zu haben 😀
    Danke für den Anstoß
    sagt Renate

    • Liebe Renate, das freut mich von ganzem Herzen.
      Ich habe mir für den täglichen Spaziergang etwas angewöhnt: jedes Mal nehme ich nur ein Stück Müll mit. Sind bei meinen zwei Gängen am Tag schon mal zwei Dinge. 😉 Vielleicht wäre das auch was für Tage, an denen Dich der Frust packt?

  5. Danke, liebe Jumana fürs Teilen deiner Gefühlsarbeit. Das ist so stimmig wie du es beschreibst und wie du am Ende ins Mitgefühl für alle Wesen kommst. Danke von Herzen.
    liebe Grüße
    Carola

  6. Liebe Jumana, was eine berührende Beschreibung deines Müll-sammel-Prozesses! So wertvoll, an deinen immer tiefer gehenden Gedanken und Gefühlen teilzuhaben. Dazu eine Inspiration, das Müllsammeln wieder aufzunehmen.
    Und beglückend und bestärkend, dass wir offensichtlich auch im Natur „säubern“ nicht allein sind, wenn ich hier die Kommentare lese. Das ermutigt seeehr! Danke! Gruß, Anne ❤️

  7. ….mmmmm….❤️ 💕 💞 🥰 eine wundervolle „processing through“ – Beschreibung….wow…..die in einem beglückenden letzten Absatz gipfelt…..Liebe Jumana, dieserDein Text ist pure SeelenMedizin für mich…..Danke ❤️ 💕 💞 🥰

  8. Danke von Herzen, liebe Jumana, für dein Mitteilen.
    Unsere Waldgruppe trifft sich jeden Sonntag zum Waldspaziergang. Unser Waldführerfreund bereitet für jeden Sonntag ein anderes Thema vor: Natur, Pflanzen, Bäume, Kultur und Geschichte oder was uns sonst noch bewegt.
    Alle paar Monate sammeln wir gemeinsam Müll im Wald. Meistens sind wir so um die 20-30 Leute, die mit Müllsäcken durchs Dickicht laufen. Es ist unfasslich, welch große Müllberge wir zusammentragen. Und auch hier ist es so, dass große Haufen an Müll / Bauschutt / Autoreifen an Stellen weggeworfen werden, wo man mit dem Auto gut ranfahren kann. Wir tragen die Müllsäcke zu einem bestimmten Platz, wo ihn die Arbeiter unserer Stadt auflesen und ihn auf der großen Müllkippe der Stadt entsorgen.
    Inzwischen haben wir gelernt den Wald vom dem zu befreien, was dort nicht hingehört…einfach aus Liebe und Fürsorge zur Erde und der Natur.

  9. Liebe Jumana, heeerzlichen Dank für diesen wunderschönen Artikel. Er spricht mir tief aus der Seele, denn fühlte ich auch schon oft ähnlich (Trauer, Wut, Ohnmacht). In meiner Tasche habe ich immer eine Tüte dabei und meistens kommt sie zum Einsatz (notfalls auch mal ein Taschentuch). Gerade fällt mir ein, dass ich die letzte Tüte benutzt und noch keine neue aufgefüllt habe – werde ich gleich mal tun =).
    Lasst uns den Mut nicht verlieren, immer wieder die Liebe zu unserer Erde erneuern und dies immer wieder umsetzten und viele andere damit anstecken. Danke fürs Mut machen – denn manchmal könnte ich echt verzweifeln, wie kann dies anderen so egal sein? – und nochmal heeerzlichen Dank und alles Liebe, Heike

    • Liebe Heike, ja, lasst uns den Mut bewahren. Mich stimmt gerade sehr froh, wieviele Müllsammelnde Menschen wir ganz offensichtlich sind !!

  10. Liebe Jumana,
    gut, dass es Menschen wie dich gibt … und ich bin dankbar, dass du auch in meinem Leben bist.
    Dein Bericht berührt mich sehr, ich kann jede der beschriebenen Gefühlsphasen nachempfinden.
    Fazit: Letztendlich gewinnt immer die Liebe 💗.

    • Liebe Susanne, auch ich bin froh, dass Du in meinem Leben bist.
      Und Du hast so eine Art zu schreiben, die mich unglaublich bestärkt: im weiter schreiben, im weitermachen, im weiter für die Liebe gehen,…DANKE!

  11. WOW!
    DANKE fürs Tun und Teilen !!!
    So lebendig, dass ich es nun wie meine tiefe Erfahrung fühlen kann.
    Wann immer ich Müll in der Natur sehen, werde ich wohl nun an dich denken und meine sicher abergleichen Gefühle und Gedanken wahrnehmen, bis auch bei mir alles intergriert ist …

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