Märchenstunde – Die Verwandlung der Wölfin

Lesezeit 1 Minute –

Die alte Wölfin schleppt sich schwer zum Brunnen. Der Bauch tut ihr weh, es rumpelt und pumpelt darin, und sie ächzte. Zudem hat sie unbändigen Durst, Durst wie noch nie in ihrem Leben. Würde sie durstig sterben müssen, fragt sie sich, denn so fühlt sie sich. Jeder ihrer Schritte schmerzt – wenn sie daran denkt, wie schnell sie früher durch unwegsames Gelände gelaufen war, anmutige Jägerin, die sie war.
Weg mit den Gedanken, das schmerzt nur noch mehr.

Ihre feine Nase wittert das Wasser, der Brunnen ist nah. Sie ahnt ihn mehr, als sie ihn sieht; ihre Sicht ist schlecht geworden zuletzt. Vielleicht ist es Zeit.
Sie legt zwei Pfoten auf den Brunnenrand, doch sie kommt nicht mit der Schnauze ans Wasser. Mühsam zieht sie die Hinterbeine hoch, versucht mit der Zunge an das Wasser zu gelangen, um den Durst zu stillen. Zwei Tropfen, zu mehr reicht es nicht.
Das genügt nicht.

Ein Ruck geht durch ihren Körper und ihre Seele.
Kopfüber sinkt sie in den Brunnen.
Und sinkt und sinkt.
Zuerst spürt sie Wasser im Maul.
Kein Durst mehr, viel zu viel Wasser.
Sie sinkt und sinkt.
Irgendwann auf den Grund.
Der ist nicht matschig, sondern eine Traumlandschaft.
Aus ihrem Bauch purzeln Edelsteine auf den schwarzen Erdboden.
Und sie sieht scharf.
Erst zaghaft, dann immer zügiger rennt die alte Jägerin in die Berge und Wälder. Sie winken ihr zu, heißen sie willkommen.
Ihr Pack dort draußen heult eine jubelnde Begrüßung.
Zurück.
Daheim.

Mit herzlichem Dank an Andrea und Brigitte 

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Dorothee Kanitz
Dorothee Kanitz

Dorothee Kanitz Mitglied des newslichter next level Teams, Autorin und Wegbegleiterin www.meditation-spirit-ritual.de

11 Kommentare

  1. Herzlichen Dank für dieses Bild, liebe Dorothee (und für das Teilen)!
    Ich habe meine Mutter quasi vor Augen, die vor 14 Tagen über den Regenbogen gegnagen ist – mit ähnlichen Gedanken an das, was ihr einst so leicht von der Hand und dann immer schwerer gefallen ist. Der Lebensdurst, der unerträglich scheint, der Ruck, der spürbar wird, wenn klar ist, dass die letzten Schritte auf Erden unweigerlich bevorstehen und das friedlich (los)lassen, wenn der letze Atemzug getan ist.

    In tiefer Dankbarkeit weiß ich meine Mutter genau dort, wo die Wölfin freudig angekommen ist -DAHEIM!

    Mit Herzensgrüßen und friedlichen Tränen
    Imke

    • Liebe Imke, ich möchte Dir gerne ein Zitat von Pierre Stutz mit auf Deinen vor Dir liegenden Weg geben:
      „Verstorbene gehören weiterhin zu unserem Kreis, geheimnisvoll nah leben sie in uns weiter als liebende Kraft.“
      Meine Mutter ist vor 19 Monaten ins Licht gegangen. Es ist eine herausfordernde Zeit, die jetzt auf Dich zukommt. Ich wünsche Dir alles Liebe dafür. 🙏
      Christine

      • Liebe Christine!
        Danke für deine lieben Worte – ja, es wird mich herausfordern, weil wir gerade in den letzten Jahren eine sehr enge Verbindung hatten – nun wird alles anders. Mein Vater ist im Februar ’23 vorausgegangen und die beiden nun wieder vereint zu wissen, ist ein gutes Gefühl.
        Aber sie wird mir fehlen! Ich werde mir eine neue Form finden, mit ihr zu teilen, was mich bewegt.

        Herzensgrüße und auch für dich alles Liebe
        imke

    • Liebe Imke, tiefen Dank dafür, dass du dich berührt gefühlt hast von dem Bild der Wölfin und ihrem „Daheim“ ankommen. Mögest du auf dem Weg deiner Trauer immer wieder berührt und gesegnet sein. Das Licht ist nie fort… Herzensgrüße Dorothee

      • Liebe Dorothee!
        Danke für de Anteilnahme!
        Ja, der Gedanke an Daheim-ankommen, berührt mich sehr. Meine Mutter war Zeit ihres Lebens eine Suchende – die Ereignisse in ihrer Jugend haben ihr nicht nur ihre Geschwister und die Mutter genommen, sondern ihr auch das Gefühl der Heimatlosigkeit hinterlassen, dass sie nie loslassen konnte. NUN IST SIE MIT IHREN LIEBEN VEREINT UND ZUHAUSE ANGEKOMMEN.
        Das zu wissen, ist der größte Schatz und Trauer-Stiller.

        Herzensgüße und eine Gute Zeit
        Imke

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