Landschaften der Trauer

Am 10. Dezember 2024 hat meine Mutter ihren Körper friedlich verlassen und seitdem wanderte ich durch Landschaften der Trauer. Auch wenn es mit über 94 Lebensjahren nicht unerwartet kam, so hat es doch viele Wellen in mir geschlagen, die in ihren Untiefen und Höhen unerwartet waren.
Tor 1: Frieden
Meine Mutter war immer wieder wie ein Stehaufmännchen, geprägt durch Kindheit im Krieg, rappelte sie sich immer wieder hoch. Und bei dem letzten „bewussten“ Kaffee zusammen fuhr ich davon und dachte, die wird noch 100 – und lächelte. Aber Ende November wurde erst ich krank und dann zog der Magen-Darm-Virus in das Pflegeheim. Und diesmal entschied meine eigenwillige Mutter wohl – jetzt ist es gut.
Als wir sie mit Schutzmontur besuchten, war ihr Blick schon ganz nach innen gezogen und meiner Schwester und mir war plötzlich klar, diesmal ist alles anderes. Das ist der letzte Weg. Und nur drei Tage später schlief sie ganz friedlich ein. Meine Schwester und Nichte waren bei ihr. Ich chantete zu Hause gerade „All the birds fly home“ als die Nachricht kam. Dann zu ihr durch die Nacht fahren und sich vergewissern – alles ist gut. Sie ist erlöst und entspannt gegangen.
Tor 2: Erleichterung und Schock
Es war auch eine Erleichterung, dass die letzten Monate im Pflegeheim nun vorbei waren. Das immerwährende schlechte Gewissen, die Ungewissheit, die schönen und ernüchternden Momente in diesem Umfeld waren zu Ende.
Trotz der Erwartung dieses Momentes war es trotzdem ein Schock, als es jetzt so weit war. Irgendwie doch unvorbereitet für diesen großen Moment.
Tor 3: Verbindung mit der Mutter
Zu niemandem ist die Verbindung auf allen Ebenen so tief, wie zur Mutter. Ich war vor allem verbunden mit meiner Mutter in meiner und ihrer Eigen-Willigkeit, die Verbindung nicht immer leicht machte. Und als sich dann diese Verbindungen final auch auf der körperlichen Ebenen auflösten, spürte ich auch in all meinen Zellen die Ablösung. Ich bin jetzt allein auf der Erde. Auch wenn meine Mutter schon länger nicht mehr die hilfreiche Mutter war, so war ihre Anwesenheit doch spürbar. Und jetzt die Lücke. Der Schmerz, dass die karmische Verbindung auf Planet Erde jetzt hier zu Ende ist. Die Seelen sich voneinander lösen. Freude und Trauer zeitgleich oder im Wechsel.
Tor 4: Trauerwege
Ich bin dankbar, dass ich diesen Übergang in der gnadenbringenden Weihnachtszeit erleben durfte. Es war viel leichter in der Dunkelheit und Geborgenheit durch die Prozesse zu gehen. Durch den tiefsten Punkt des Jahres, durch die Zeit außerhalb der Zeit der Rauhnächte (wo mich der Lichtkreis zärtlich hielt) und dann ins neue Jahr, wo langsam das „weltliche“ Leben und eine Leichtigkeit zurückkehrte.
Vorher noch die Trauerfeier am 23.12. an einem der wenigen Sonnentage in Norddeutschland im Dezember, was für ein Segen. Die Abstimmungen mit meinen Geschwistern, die Geschichtsaufarbeitung und Verbundenheit in unserer Familie, das Finden des Ablaufs, der Form und der Musik. Der Halt durch Elske und meine FreundInnen auf diesen Wegen.
Tor 5: Ich werde auch sterben
Die vielen Träume und Wachzeiten in den ersten Nächten. Dieses Bewusstsein: Meine Mutter ist gestorben – wie eine verspätete Schock-Welle, die mich kurz unter Wasser drückt und mit Herzklopfen aufweckt. Dann in einer anderen Nacht in einer neuen Tiefe, in allen Zellen so tief wie noch nie erfahrbar: Ich werde auch sterben.
Tor 6: Ein neuer Platz
Nun bin ich also Waise – spät im Leben. Als mein Vater starb, war ich 36 und voll im Leben. Jetzt werde ich 63 und schaue selber schon auf die Zielgerade. Da ich keine leiblichen Kinder habe, gilt es nochmal tiefer zu schauen, was soll mein Vermächtnis sein. Was ist jetzt mein Platz. Dieser Prozess ist noch nicht zu Ende …
Tor 7: Ich denke an Dich in Liebe
Überraschend wie oft Du Mama, Mamutschka in meinen Gedanken auftauchst. Wie ich mich zum Beispiel auch wieder an diesem Sonntag vergewissern muss – ich fahre heute nicht zu Dir. Ich muss mir keine Sorgen mehr machen, wie es dir geht, denn ich weiß, es geht dir gut. Aber ich vermisse Dich.
Und ich lasse mich mal wieder trösten mit diesem Lied zu Beginn Deiner Trauerfeier:
Liebe Bettina!
Wie ich mit dir fühle!!! Und wie dankbar ich bin, dass auch ich meine Mutter in Frieden haben gehen sehen und sie auch in Liebe und Frieden habe gehen lassen können.
Wie groß dieses Geschenk ist, ist mir noch einmal klar geworden, als ich in der vergangenen Woche bei einer Lichterandacht für die Mutter einer ehemaligen Kollegin war. Als ich dieser mein Mitgefühl aussprechen wollte, meinte sie mit Verbitterung und Wut in Stimme und Körperhaltung, dass sie einfach nur froh sei, endlich frei zu sein. Sie schimpfte dann noch über ein paar Eigenschaften, die sie an ihrer Mutter besonders gehasst hat und zog von dannen.
Ich dachte nur: Weder sie noch ihre Mutter werden frei sein – und wünsche ihr von Herzen, dass sie jemand begleiten und ihr und ihrer Mutter zu Frieden verhelfen kann.
Von Herzen mein Mitgefühl für dich und den Weg, der nun vor dir liegt.
Fühl dich umärmelt
Imke
Liebe Imke, Danke für Deine Rückmeldung, ich bin auch so dankbar, dass es am Ende zwischen mir und meiner Mutter gut war, auch wenn wir vielfach miteinander gerungen haben. Blessings für Deine ehemalige Kollegin, dass sie wirklich in Liebe frei werden kann.
Liebe Bettina,
vielen Dank für das fühlende Mitteilen deiner 7 Tore, die mich sehr bewegen und zum Nachdenken anregen.
Mir steht diese Erfahrung, einen Elternteil zu verlieren, noch – ich hoffe erst in ferner Zukunft – bevor und ich danke dir für deine Offenheit.
Mein herzliches Mitgefühl und viel Kraft sowie Mut für den Prozess, der den Raum verdient, dem du ihm schenkst.
Viele unbekannte Grüße von einem langjährigen Newslicht
Björn
Danke Dir für Deine mitfühlenden Worte lieber Björn
🙏✨️❤️🧡💛💚🩵💙💜✨️🙏
Danke für die Zeichen
Danke für das Teilen der sehr persönlichen Erfahrungen.
Liebe Grüße aus Graz, Elisabeth
Gerne, gemeinsam ist es leichter
Ich wünsche Dir die Zeit zu trauern…Deine eigene Reise und Gewahrsein mit/in allem, was sie enthüllen mag. Einen herzlichen Verbundenheitsgruß. Mir hat das Lied des Menschen nach Khalil Gibran in solch einer Phase sehr geholfen. https://www.youtube.com/watch?v=3OHtyESANAQ
Danke Lia so schönes Video mit wundervollen Bildern für diesen Weg
Liebe Bettina,
ich danke dir so sehr für diese offenen Worte, wie du hier deine Gefühle zeigst.
Die Tore sind ein gutes Sinnbild für die Stationen eines solchen Weges.
Ich habe meine Schwiegereltern im Sterbeprozess begleitet und meinen Vater zu Hause gepflegt und war an seinem Sterbebett.
Es hat mir gezeigt, wie kostbar jeder Moment meiner Zeit ist.
Jetzt pflege ich meine 90 jährige Mutti und gerade hat sie sich nach einem Sturz wieder aufgerappelt. Doch dieser Pflegeeinsatz hat mich in die „Knie“ gezwungen und es macht mir gerade alles Angst….
…und dann lese ich deine Worte nochmal und nochmal, die mir wie so Vieles hier in den Newslichtern wieder Hoffnung und Kraft schenken jeden Morgen und dann vertraue ich wieder, dass ich meinen Weg in Frieden mit meiner Mutti gehe.
Ich Danke dir von ganzem Herzen. Sei gesegnet und behütet.
Liebe Grüße von Andrea.
Danke Andrea fürs teilen, ja es kostet viel Kraft und es ist gut auch an die eigenen Kräfte zu denken, auch loszulassen und sich so viel wie möglich Unterstützung zu holen. Und es freut mich, dass die newslichter da helfen 🙂 Segen für Dich und Deine Mama – möge sich alles gut fügen!
danke
Liebe Bettina, ich bin tief berührt von deinen Worten und kann so mitfühlen. Meine Mama ist nun 82 und ich denke öfter daran, wie es wäre wenn sie ihr Erdenkleid ablegt und wenn ich dorthin spüre ist dort Schmerz verbunden mit grenzenloser Liebe. Manchmal vermisse ich sie sozusagen schon vorab – vielleicht wie ich es oft auf unserem gemeinsamen Weg empfunden habe. Doch in der Gegenwart spüre ich so viel Dankbarkeit für unsere Beziehung und unser Wachsen. Das zum Ausdruck zu bringen, heilt unsere Wunden.
Möge die Liebe dich sanft ummanteln und dich in ihren Armen wiegen.
Von Herzen, Alexandra
Danke für die Umärmelung mit diesen Worten
Liebe Bettina, Deine Zeilen haben mich berührt, denn meine Mutter ist auch schon 90 Jahre alt. Sie ist quietschfidel, lebt in ihrer Wohnung, kocht sich ihr Essen selbst und wird von allen liebevoll unterstützt. Sie sagt von sich, dass sie 94 Jahre alt wird: „Und dann ist es auch gut!“ So weit, so gut. Aber! Als ich deine Zeilen gelesen habe, kamen mir die Tränen und sie kommen immer noch! Alles ist endlich, deshalb ist die gemeinsame Zeit unendlich kostbar! Und ja, wenn die eigene Mutter stirbt, dann ist das ein großes Ende, das uns im Innersten erschüttert. Ich fühle mit dir! Claudia
Ja, es ist ein großes Ende, aber wie immer auch ein Anfang, eine Weiterentwicklung…wie auch immer es sich gestaltet. Und seit ich diesen Text veröffentlicht habe, spüre ich meine Mama ganz nah, aber viel freier in der Verbindung. Herzliche Grüße und ein Segen an Dich und Deine Mutter
Liebe Bettina,
Dein so wunderschöner Text hat mich zum Weinen gebracht. Ich danke Dir sehr für das Zeigen Deines Prozesses und für das Teilen Deiner Trauer. Mir macht es auch Mut für den Zeitpunkt, zu dem ich meine Eltern loslassen muss.
DANKE!
Liebe Bettina,
Mitgefühl zum Abschied deiner Mutter. Wunderbar dein Text, dein Prozess, dein Tor-Weg. Bei Abschieden von Müttern denke ich an den berührenden Text von Thich Na Than den du schon 2021 veröffentlicht hast.
Meine Mutter starb vor 30 Jahren, meine Vater vor 52 Jahren. Ich bin jetzt im 66. Lebensjahr. So alt war meine Mutter als sie starb. Meinen Vater habe ich schon 19 Jahre überlebt. Als meine Mutter starb war für mich deutlich spürbar jetzt bin ich Vollwaise, das Halbwaise sein war schon lange vertraut. Vor 2 Jahren starb meine letzte Tante mit 98 Jahren. Es lebt in meiner Familie niemand mehr aus der Generation vor mir. Das bringt mir meine eigene Sterblichkeit sehr nah. Ich vermisse meine Eltern oft und gleichzeitig bin ich dankbar mich frei leben zu können ohne langjährige Sorge um alte Eltern die viele Menschen um mich rum sehr gefordert oder überfordert hat. Jetzt geht es für mich um Weise werden…weiter in mein Sein zu leben — dazu gehören auch die Wellen von Trauer, die immer mal wieder über mich schwappen, dann wieder verebben, Herzensverbindung bleibt.
Sei geherzt, behütet und umarmt. Dein Licht leuchtet!
Danke fürs teilen, es ist so heilsam auch Eure Erfahrungen zu lesen. Ja unsere Lichter leuchten noch auf Planet Erde – zusammen 🙂
Liebe Bettina,
mein herzliches Mitgefühl und ganz viel Kraft für dieses Jahr. Herz-Geist-Seelendank für Deine Offenheit und Vertrauen zu uns.
Meine Mutter ist auch im letzten Jahr ins Licht gegangen (bei so vielen lieben Menschen und Freundinnen wie in keinem anderen Jahr) und ich darf jetzt erleben, erfahren und erkennen, dass der Geist und die Seele ewig leben. Ihr Geist und ihre Seele, als auch meiner/meine.
Lasst uns füreinander da sein, denn wir sind alle EINS.
In Licht und Liebe, Silja ❤️
Danke liebe Silja, AllEinsSein was für schönes Bild!
Liebe Bettina, danke von Herzen für deine Wahrhaftigkeit.
Meine Mama ist 2021 im Pflegeheim verstorben und meine unterschiedlichen Gefühle und vor allem Trauer kamen nun kurz wieder hoch. Es ist wichtig, dass wir uns an ab und zu an unsere Wurzeln erinnern! Das erdet zumindest mich sehr. Mitgefühl für dich und eine liebevolle Umarmung. ♥️ liche Grüße Petra
Liebe Bettina,
Deine Landschaften der Trauer haben mich sehr berührt und ich habe mich in vielem was Du schreibst wiedergefunden.
Meine Mutter ist auf den Tag genau einen Monat früher von uns gegangen. Sehr intensiv habe ich bereits in den Tagen des Abschied nehmens diese zeitgleichen Gefühle von Erleichterung („jetzt muss ich mir keine Sorgen mehr machen“ und „ich kann mich nach Jahren des Kümmerns um die Eltern wieder ganz auf mich besinnen“) und Trauer dass sie nun beide gegangen sind und des realisierens dass ich jetzt Waise bin durchlebt.
Auch in den anderen Stufen, die Du beschreibst erkenne ich mich wieder und war wie Du dankbar, dass ich die sogenannte „stade Zeit“ hatte um diesen Weg zu gehen. Ich erinnere mich nicht den Jahreswechsel je so intensiv erlebt zu haben wie diesen. Und das ganz ohne Rituale. Ich war einfach nur in Stille bei und mit mir und habe dem was mich in diesem Trauerprozess im Innern bewegt Raum gegeben.
Jetzt kurz bevor das Licht wieder zurückkehrt habe ich das Gefühl, dass sich neue Wege öffnen und es ist ein tiefer Frieden in mir.
Licht und Segen auch für Deinen weiteren Prozess
❤️ liche Grüße Sybille
Danke – Licht und Segen zurück!