Das Leben feiern – Nichtstun

Foto: Sabrina Gundert

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Von Sabrina Gundert. Es gibt Zeiten im Leben, da scheint der Ausdruck Das Leben feiern geradezu abstrus. Vielleicht hat sich eine Krankheit in unserem Leben breit gemacht oder es ist ein Bruch entstanden – beruflich oder privat –, der unseren wohlgeordneten Alltag hat zusammenbrechen lassen. Wohin ich momentan auch schaue, neben all der Aufbruchstimmung des Frühlings, ist da zugleich dieser Stillstand zu spüren: Die Aufgabe eines Geschäfts, ohne dass der nächste Schritt bereits klar wäre. Eine Krebserkrankung mit ungewissem Ausgang. Das plötzliche Ende einer langjährigen Beziehung. Während die einen vor dem Scherbenhaufen ihres bisherigen Lebens stehen, scheinen die anderen durch körperliche Symptome zum Innehalten gezwungen. Ungewissheit, Angst und Starrheit begegnen mir in ganz unterschiedlichen Gesichtern und Altersstufen.

Vom Rennen zum Nichtstun
Und während ich hier sitze, selbst durch eine Knieentzündung und diverses anderes zum Stillstand gebracht, frage ich mich: Kann ich auch in solch einer herausfordernden Zeit – oder gerade in dieser – das Leben feiern?
Buddhistische Meditationspraxis und Loslass-Seminare hin oder her – ich kann nicht leugnen, dass mir die schönen, freudigen Augenblicke des Lebens immer noch lieber sind, als vom Regen gepeitscht nackt im Sturm zu stehen. Ist es also vielleicht nur die Illusion von einem Leben in reiner Freude, Gesundheit und Glück, die in solchen Zeiten mehr und mehr zerbricht, nicht aber das Leben selbst?
Während ich sonst wohl gerade auf großer Wanderung unterwegs wäre, den fälligen Einkauf planen oder eine Freundin besuchen würde, sitze ich nun hier und tue nichts. Oder eben das, was möglich ist. Kuchen backen, singen, Gitarre spielen, Wolken gucken, den Frühling einatmen. Und merke, wie lange ich das schon nicht mehr getan habe. Zu voll war meine innere To-do-Liste, zu wenig hatte ich selbst noch ein Gefühl dafür, was Nichtstun oder Innehalten bedeutet. Selbst die vermeintlichen Entspannungszeiten waren mehr und mehr zum Pflichtprogramm verkommen: Erst die Meditation für den klaren Geist, dann Yoga für den Körper, nachher der erfrischende Spaziergang, dann noch die neue Audioübung ausprobiert.
Natürlich kann das alles sehr wohltuend sein, nicht aber, wenn es zu einer zweiten – vielleicht spirituellen oder freizeitmäßigen – To-do-Liste mit Kästchen zum Abhaken wird.

Langsamer gehen
Ich muss an ein südafrikanisches Gebet denken, das mit den Worten Lass mich langsamer gehen, Gott beginnt. Langsam gehen und Zeit haben – so sehr ich mir das oft auch vornehme oder wünsche, so sehr schäme ich mich dann doch, wenn ich wirklich Zeit und keine Antwort auf die Frage Und was machst du heute noch? habe.
Selbst in spirituellen Kreisen, in denen Innehalten, Auszeiten und Sabbaticals zum Alltag geworden sind, begegnet mir das wirkliche Nichtstun kaum mehr, denn die Anzahl an Angeboten, die ich rasch noch am Nachmittag oder Abend ausprobieren könnte, ist schier erschlagend geworden.

Entlaste das eilige Schlagen meines Herzens
durch das Stillwerden meiner Seele.
Lass meine hastigen Schritte stetiger werden
mit dem Blick auf die weite Zeit der Ewigkeit.
Gib mir inmitten der Verwirrung des Tages
die Ruhe der weiten Berge.
Löse die Anspannung meiner Nerven und Muskeln
durch die sanfte Musik der singenden Wasser,
die in meiner Erinnerung lebendig sind.
Lass mich die Zauberkraft des Schlafes erkennen,
die mich erneuert.

Foto: Sabrina Gundert

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Raum in uns

Um das Leben wieder wirklich zu feiern – ja, ich glaube dafür braucht es unweigerlich das Nichtstun. Nicht unbedingt in äußeren Formen, in Meditationskursen oder anderem. Sondern einfach so – zufällig, unbeabsichtigt, lebendig. Diesen äußeren Raum, der zugleich Raum in uns schafft und damit den Blick für die Schönheit des Lebens – in allem Schmerz und aller Unvollkommenheit – wieder freigibt. Eine Schönheit, der wir uns auch vom Krankenbett aus, ohne Job und mit gebrochenem Herzen öffnen und hingeben können.
Vielleicht lässt uns dies ganz zaghaft wieder beginnen, uns vom Leben umwehen zu lassen – mal heftig-treibend, dann zärtlich-umkosend. Und ganz so, wie wir uns immer wieder darin üben, einen geliebten Menschen und uns selbst in aller Unvollkommenheit anzunehmen, auch dem Leben zu begegnen.

Lehre mich die Kunst des freien Augenblicks.
Lass mich langsamer gehen,
um eine Blume zu sehen,
ein paar Worte mit einem Freund zu wechseln,
einen Hund zu streicheln,
ein paar Zeilen in einem Buch zu lesen.

Lass mich langsamer gehen, Gott,
und gib mir den Wunsch,
meine Wurzeln tief
in den ewigen Grund zu senken,
damit ich emporwachse
zu meiner wahren Bestimmung.
Quelle: Unbekannt.

SabrinaGundertZur Person: Sabrina Gundert (25) ist freie Journalistin, Autorin und ­Seminarleiterin. Ihr Herzblut ist das Schreiben, die Natur und das ­Gehen des eigenen Lebenswegs. www.handgeschrieben.de

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