Nicht perfekt – sondern authentisch

baumVon Sabrina Gundert. Eigentlich fällt es mir eher schwer, meine eigene Stimme wirklich zu erheben und alleine – ganz so wie ein Rotkelchen hoch oben im Baum – erklingen zu lassen. Doch vor Kurzem ging alles plötzlich ganz schnell. Ohne es geplant zu haben, war da nach dem ersten Wochenende der Weiterbildung in Heilsamem Singen, die ich gerade begonnen hatte, der Impuls, selbst eine Singgruppe zu gründen. Binnen weniger Tage organisierte ich Rhythmusinstrumente, übte verschiedene Lieder auf der Gitarre, fand einen Seminarraum, verteilte Flyer – und eine Woche später ging es los.

Nicht perfekt und nackt

Am Singabend selbst musste ich schlucken. Denn in meinen Plänen hatte sich das alles so locker-leicht angefühlt. Nun aber standen da tatsächlich fünf Frauen vor mir und sahen mich erwartungsvoll an. Ich begann mit der Stunde – und vergaß prompt die Akkorde, sang falsche Strophen vor, verspielte mich und brachte die Lockerungsübungen eine halbe Stunde zu spät, da ich sie zu Beginn vergessen hatte. Selten habe ich mich so nackt und schutzlos gefühlt – dabei hatte ich doch gedacht, gut vorbereitet zu sein. Nach dieser Stunde – so war ich mir sicher – würde niemand mehr wiederkommen. Denn wer wollte schon mit einer nicht perfekten Singleiterin singen?

Scheitern willkommen heißen – und einfach Mensch sein

Umso mehr musste ich abermals schlucken, als ich die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen hörte: Wie großartig sie sich jetzt, nach der Stunde, fühlen würden, freudig, leicht und entspannt. Wie lange sie schon nicht mehr das Gefühl gehabt hätten, mal wieder wie ein Kind spielen und einfach sein zu dürfen. Die eine hatte nach dem Singen keine Magenschmerzen mehr, bei der anderen waren die Knieschmerzen verschwunden und eine dritte konnte wieder ohne Stimmprobleme singen. Und: Sie alle trugen sich in die Liste ein, um beim nächsten Mal wieder mit dabei zu sein.

Es dauerte einige Tage (und dauert immer noch an), ehe ich begriff: Ich muss nicht perfekt sein. Ich darf Fehler machen. Ja, das Scheitern – wie der Clown – sogar willkommen heißen.
So leicht es immer scheint, anderen Menschen dies zu vermitteln, umso schwerer fällt es uns doch oft, all dies bei uns selbst zu beherzigen.

Mir wurde wieder einmal bewusst, dass nicht nur ich mich nach einem offenen, authentischen Umgang miteinander sehne, in dem jede und jeder ganz so sein darf, wie sie oder er gerade ist. Wie ein Freund vor Jahren zu mir sagte: Die anderen wollen nicht, dass du perfekt bist. Sie wollen einfach nur, dass du menschlich bist.
So lade ich dich heute ein, einmal innezuhalten und zu schauen:
Wann und wo warst du (in deinen Augen) schon einmal nicht perfekt – und wurdest gerade dafür von anderen besonders geschätzt?
Wie fühlt es sich für dich an, authentisch sein zu dürfen? Was bewegt es in dir?
Und was würdest du als Nächstes tun, wenn du wüsstest, dass es (und du) nicht perfekt sein muss?

Sabrina Gundert

Sabrina Gundert

Zur Person: Sabrina Gundert (25) ist freie Journalistin, Autorin und ­Schreibcoachin. Ihr Herzblut ist das Schreiben, die Natur und das ­Gehen des eigenen Lebenswegs. www.handgeschrieben.de

Sharing is Caring 🧡
Posted in Kolumne, Leben Verwendete Schlagwörter: ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.