Ausbruch in die Kunst

klingebiel

Die Zelle des Julius Klingebiel nach 20 Jahren Zellenhaft. © NDR/ZENTRALFILM

Sie gilt als außergewöhnliches Raumkunstwerk: die Zelle des Psychiatriepatienten Julius Klingebiel. Wissenschaftler und Kunstexperten sind sich einig, dass er mit seiner Wandmalerei darin etwas Großes und Einmaliges geschaffen hat. Die Zelle ist ein herausragendes Beispiel der sogenannten Outsider Art.

Erst jetzt, 50 Jahre nach dem Tod des Künstlers, wird sie der Öffentlichkeit bekannt, denn das Kunstwerk befindet sich in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie. Zum ersten Mal durfte ein Kamerateam in der Originalzelle drehen. Enstanden ist die Dokumentation Ausbruch in die Kunst – Die Zelle des Julius Klingebiel (Sonntag, 14. Juni 2015, 11:30 bis 12:15 Uhr im NDR).

Endstation Zelle 117

Julius Klingenbiel in seiner Zelle

Klingebiel in seiner Zelle, Mitte der 1950er Jahre. Asklepios Fachklinikum Göttingen

Julius Klingebiel wurde 1904 in Hannover geboren. Er arbeitete als Schlosser bei der Wehrmacht. Nach einem Wutausbruch kam er 1939 in die Nervenklinik Langenhagen. Dort attestierten ihm die Ärzte paranoide Schizophrenie und verlegten den Patienten in das Göttinger Verwahrhaus. Aus damaliger Sicht war dies die Endstation für einen Geisteskranken. Schizophrenie galt 1940 als Erbkrankheit. Nach nationalsozialistischem Recht wurde der Patient zwangssterilisiert. Klingbiel entging nur knapp dem Euthanasieprogramm der Nazis.

Schizophrenie in Form und Farbe
In Göttingen wurde der Patient in eine Einzelzelle gesperrt. Dort fing er nach Jahren der Isolation an zu malen. Seine Farben mischte er aus Kohleresten, Zahnpasta, Holz und Steinen. Klingelbiel begann, indem er kleine Motive an die Wand zeichnete. Die Bilder wurden immer weiter verdichtet, bis ein einziges, großes Raumkunstwerk entstand.

Die Zelle des Julius Klingebiel nach 20 Jahren Zellenhaft. © NDR/ZENTRALFILM

Die Zelle des Julius Klingebiel nach 20 Jahren Zellenhaft. © NDR/ZENTRALFILM

Streit um Ausstellung
Erst jetzt haben Experten Zugang zu dem großen Kunstschatz bekommen, denn das Gebäude war bislang ein Hochsicherheitstrakt. Mit der Räumung des Hauses Mitte des Jahres 2015 soll nun das Kunstwerk den Stellenwert bekommen, der ihm zusteht. Zwischen Göttingen und Hannover ist bereits ein Streit entbrannt: Sowohl das Sprengel Museum Hannover als auch die Stadt Göttingen möchten das Kunstwerk präsentieren.

Der NDR hat die Geschichte von Julius Klingebiel in einem Dokudrama verfilmt. Der Film erzählt das Leben und künstlerische Schaffen des Psychiatriepatienten mithilfe von Zeitzeugen, historischen Dokumenten und Fotos. Gedreht wurde im Studio und auch am Originalschauplatz. Die Bilder aus der Zelle sind vorher so noch nie zu sehen gewesen.Gefördert mit Mitteln der nordmedia Fonds GmbH in Niedersachsen und Bremen. Produktionsfirma: ZENTRALFILM, Dokumentarfilm, Micha Bojanowski, Hannover.

Schauspieler Peter Sikorski in der Rolle des Julius Klingebiel. © NDR/ZENTRALFILM

Schauspieler Peter Sikorski in der Rolle des Julius Klingebiel. © NDR/ZENTRALFILM

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