Heilorte – die Brücke zwischen Ich und Es

Foto Holzweg.org: Tor ins Aditiland

Von Evelin Rosenfeld. Seit ich im Jahr 2001 für mich erkannt hatte, dass ein Unternehmen, eine Gemeinschaft, eine Politik scheitern muss, wenn sie geprägt ist von Menschen, die aus Angst handeln, war es mein größter Wunsch, eine Lösung für dieses scheinbar urmenschliche Phänomen zu finden. Es war klar, dass dies zunächst ein individueller Weg war: Angstfreiheit kann man nicht verordnen – es braucht einzelne Menschen, die so stark von einem konstruktiven Anliegen geleitet sind, dass sie der Angst (vor materieller Unsicherheit, vor Übergriff und Ohnmacht, vor Irrtum und Verantwortung) etwas entgegenzusetzen haben.

Und dann – nach gut 17 Jahren dieses Weges und dieser Lebensform – fand mich ein Platz. 
Schon länger hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mein deutsches Refugium heraus aus der Großstadt (Berlin) zurück in meine mütterliche Heimat (Coburger Land) zu verlegen. Aber selbst hieran wollte ich mich nicht binden, selbst diese „Regung“ in mir betrachtete ich als attachment, als verkrustete Sehnsucht, an der sich mein Geist sich festzumachen suchte, wenn das Gefühl von Heimatlosigkeit und Befremdung drohte, überhand zu nehmen.

Foto: Evelin Aditiland

Hüterin vom Aditiland
Am 10. August 2016 war es plötzlich da: 
Ein kleiner Berg mitten im Grenzland zwischen Bayern und Thüringen, seit 50 Jahren unbehelligt verwildert mit Eschenhainen und Holunderkolonien, gekrönt von einem verwunschenen Artriumhaus, das nie zum Leben erwacht war. 
Ein reicher Professor von auswärts hatte es in den 70er Jahren bauen lassen, gelegentlich als Jagd- und Naturrefugium genutzt und in bayerischem Eichenbarock versenkt. 
Die Begegnung mit dem Aditiland (so heißt der paradiesische Flecken) war so außerordentlich wie damals meine Begegnung mit der Insel, die mich zur Aufgabe meines bürgerlichen Lebens brachte.

Da ich all die Jahre gearbeitet hatte, ohne (viel) zu konsumieren, war ich in der Lage, das Haus mit seinem ausgedehnten Wald- und Wiesengrundstück zu erwerben. Doch dann war ich „blank“. Entgegen meiner ausgeprägten Neigung, Dinge strategisch zu betrachten, zu planen, zu kalkulieren und zu prüfen, folgte ich hier einem Weg, dessen Horizont ich nicht kannte. Ich wusste nur: Dieses Grundstück ist „für mich“ und ich bin für das Grundstück. Ich „sah“ die Qualität des Ortes, sah die schlafende Kraft und zugleich das Kriechen der fremden Einflüsse, hinein in diesen Schutzraum. Und obwohl mehr Bindung und ökonomische Unsicherheit kaum möglich sind, handelte ich.

Es ist wahr: Dies ist ein Schutzraum. Ich bin seine Hüterin. Dafür zuständig, diesen Platz als Heilort für die Welt zu bewahren. Und ich wusste auch: Ich verfüge nicht über die Mittel, den Platz angemessen und aus eigener Kraft zu entwickeln.

An einem der ersten Nachmittage, die ich mit einem Freund auf dem Berg verbrachte, unmittelbar nach dem Kauf, ging ich in der Augustsonne von der Wiese hinauf zum Haus. Meine Schritte wurden langsamer, begannen zu prickeln, so dass ich anhielt und lauschte. Was ich vernahm, aus der Erde in meine Füße und von dort in meinen Geist war: „Hab Vertrauen.“
Und ich glaubte und war dankbar und begann nach anderthalb Jahrzehnten geistiger Arbeit, mit etwas Yoga und ausgedehnten Naturwanderungemit der Arbeit.

Foto: Aditiland aus der Luft

Die erste Bauphase
Zusammen mit Freunden und Handwerkern arbeitete ich 21 Tage wie ein Berserker: Verbrachte rund 9 Tonnen Hausrat und Ablagerungen von fünf Jahrzehnten eigenhändig in den unheimlichen Schlund des Müllheizkraftwerks, schleppte 2 Tonnen Zementmörtel, koordinierte Baumaterial das in zig Lieferungen den Berg hinauf und hinab geschafft wurde, befreite Wände von Fließen, verputzte sie wieder, strich insgesamt rund 800 Quadratmeter Wandfläche, schliff Balken, schachtete Abflussgräben.
Ich hatte kaum Geld für relevante Baumaßnahmen – aber immer wieder erschienen Menschen – Freunde, Bekannte aber auch viele meiner Kunden und Schüler, blieben, zum Teil tagelang, und ackerten mit mir. Und in dem ganzen Chaos und Dreck herrschte stets große Heiterkeit und Verbundenheit – zwischen all den unterschiedlichen Menschen, die hier wochen und monatelang ein- und ausgingen. Jeden Abend wurde gekocht – manchmal für drei – manchmal für zehn – jeden Abend geteilt, geklönt, geplant, gelacht.

Könnt Ihr Euch vorstellen, wie das aus Sicht einer ist, die Jahrzehntelang Geselligkeit gemieden hat? Doch zu meiner eigenen Überraschung war da nichts als Schaffenskraft und Dankbarkeit.
Ich war so überrascht, wie viele Menschen kamen, einfach für mich, einfach, um sich mit mir zu freuen und anzupacken. 
Und so gab ich mich dem Segen der Verbundenheit hin: Aditi ist ein offenes Haus – Stille und Klarheit hin oder her. Aditi ist ein Land für alle, die Schutz suchen und Licht bringen. In Freude. In Fülle.

Das bestimmte nicht ich. 
Das bestimmten der Ort – und der Lauf der Dinge.

„Vertraue“. Die Ressourcen für deinen Dienst sind gegeben.
Ich erinnere mich an einen Tag, an dem viel schief ging auf der Baustelle. Es stellte sich heraus, dass ich doch einen Installateur würde bestellen müssen wegen der maroden Wasserleitungen. Ich war ziemlich verzweifelt am Abend, denn das Budget war längst aufgebraucht. Mitten in der Nacht begann ich, meine Kisten aus Berlin auszupacken, um mich von dem Problem abzulenken und „es“ denken und mache zu lassen… und da fand ich zwischen all meinen Sachen einen alten Geldbeutel – ich wusste gar nicht mehr, dass ich ihn noch besaß- mit einem ordentlichen Betrag darin. Es war weit mehr, als ich für den Installateur brauchte.

Im Dezember gab es dann das Einweihungsfest: Nach 3 Monaten Schwerstarbeit, in denen ich mich durchgängig jenseits meines Kompetenzfeldes zu bewegen hatte – von 6h morgens bis 23h abends (manchmal länger) hatten wir die erste Bauphase abgeschlossen: Zwei Bäder waren erneuert, Nachtspeicheröfen aufwändig entsorgt, Haus bereinigt, offene Nischen aufgemauert, 800 Quadratmeter Wand- und Deckenfläche neu verputzt, 8 Türen samt Rahmen von Dekor befreit und neu lackiert, drei Einbauschränke grunderneuert, ein Märchentisch (eigentlich: eine Tafel) gezaubert und der Aditi-Altar aufgestellt.

Heilung alter Wunden
Ja, Aditi überrascht mich immer wieder mit der Fülle, die hier aus dem Boden zu wachsen scheint.
Ein anderes Ereignis, ganz zu Beginn meiner Begegnung mit Aditi-Land, trägt mich bis heute täglich … und wird wohl noch wachsen: Bei der zweiten Besichtigung, unmittelbar vor dem Notartermin, entdeckte ich eine gigantische Wunde im Herzen des 3,3 Hektar großen Grundstücks: Jemand hatte 48 alte Eschen geschlagen und die Stämme so aus dem verzauberten Wäldchen und Obsthain gezogen, dass zig Bäume gebrochen und verletzt waren, tiefe Fahrspuren den Boden aufgerissen hatten – ein Bild des Schreckens und des Schmerzes.

Ich machte den Mann ausfindig, der das verursacht hatte – mit dem Einverständnis des Verkäufers – und ließ ihn fühlen, was ich fühlte. Zu meiner tiefen Überraschung reagierte er nicht mit Rechtfertigungen oder Abwehr – nein, er fühlte mit mir, verstand meinen Schmerz, empfand tiefe Reue für seine Tat. Und er wollte wieder gut machen, was er getan hatte.

Foto: Evelin Rosenfeld

So begannen wir, die Verwüstung aufzuräumen – gut 100 Festmeter Holz in gebrochenem Holz per Hand aus der Lichtung zu tragen, daraus eine Benjes-Hecke zu flechten, die Insekten und Vögeln Schutz bieten würde, die Furchen zu glätten, Geknicktes wieder aufzurichten. Und es wurden immer mehr: das in die Raunächte verschobene Jahrestreffen ließ das Aditihaus über 10 Tage schier überlaufen mit meinen Alumi und Schülern und wir verbrachten die sonnigen Wintertage in harmonischer Stille, Äste tragend, Hecke flechtend, heilend, gemeinsam. Es war eine wundervolle Zeit mit Kaminabenden und köstlichen Gelagen. Das Ergebnis ist eine Benjes-Hecke, die sich vom Berggipfel gut 2500 Meter hinab zum Südende des Grundstücks streckt und einen zauberhaften Schutzraum wirkt. Und: Nun, im Frühjahr entfaltet der Platz seine Dankbarkeit und Fülle neu: quadratmeterbreite Kissen duftender Veilchen wurden abgelöst vom weißen Schleier hoher Wildrüben, die sich zwischen den frisch gepflanzten Apfel-, Kirsch und Pflaumenbäumen um den Geistbaum strecken. Es ist ein zauberhafter Platz geworden durch den neues Leben strömt.

Fülle. Vertraue. Viele Hände schaffen Großes. 


Jürgen, der ursprüngliche „Übeltäter“ ist seither nicht mehr von meiner Seite gewichen, hat kaum bei etwas nicht mitgeholfen, das hier entstanden ist. Unsere Wege haben sich in den endlosen Tagen und Stunden, in denen wir auf dem Berg gemeinsam arbeiteten, verwoben. Unsere Liebe zur Natur, unsere Sicht auf das Leben und die Situation selbst brachten sogar ein eigenes Projekt hervor: Dem Traum und der Bitte von Jürgen folgend, haben wir begonnen, eine kleine Firma zu konzipieren, in der unsere Liebe zu den Bäumen, unsere symbiotische Kreativität und unsere Freude an selbständiger Arbeit zusammenkommen. Schaut mal vorbei auf www.holzweg.org ☺ Leben. Eines vergeht und schafft Boden für Neues.

Mittlerweile folgten Bauphase 2 und 3 – nicht minder gesegnet, nicht minder gesellig, nicht minder produktiv. Und so pulsiert das Leben hier auf dem Berg, Menschen gehen ein und aus, bringen Gutes mit, gehen mit vollen Händen und Herzen und kommen sicher bald wieder.

Wie es mich verändert hat?

Evelin Rosenfeld

Nun: Ich war seit Monaten nicht mehr beim Friseur, meine Fingerspitzen sind noch taub von der starken Beanspruchung, mein Haar wird grau. Und meine Augen strahlen.
Ich schreibe seltener – habe dieses Jahr auf keinen einzigen Vortrag oder Kongress zugesagt, lasse die Mai-Auszeit ausfallen. Und doch haben mittlerweile einige Menschen hier den „Was Dir wirklich wichtig ist-Prozess“ durchlaufen, konnten die Aue für das Schattenritual nutzen und haben in das Medizinrad am Südende Ihre Energie eingewebt.

Meine soziale Interaktion hat sich Vertausendfacht ☺ … jedenfalls potenziert … ohne dass es mir eie bindende Last wäre. Ich bin lange genug einen Weg aus eigener Kraft gegangen, habe mich von Forderungen, Versprechungen und den üblichen Verquickungen lange genug fern gehalten, um Begegnungen, die sich jetzt wie ein feines, pulsierendes Netz verweben, fließen zu lassen in das große Gefäß. Ich brauche keine Rollen, Posten, Zugehörigkeiten – und bin doch geborgen und präsent.

Die Teneriffa-Auszeit war der erste längere Zeitraum seit meinem Einzug, in dem ich Aditiland und meine beiden Gefährtinnen für eine Zeit verlassen habe. Nach 32 Jahren hatte ich zum erste Mal Heimweh. Wenn ich hier bin, singt mein Herz.

Mach was draus!
Mein Leben ist noch weiter abgerückt von den politischen und philosophischen Themen, die mich über 20 Jahre so sehr beschäftigten. Im Januar gab es sogar eine öffentliche Auseinandersetzungen mit einem dieser Eso-Business-Macher, deren Impetus so aufgesetzt und weltfremd sind, dass ich mich von der ganzen Rise-Satsang-Erwachens-Kommödie gänzlich abgewendet habe. Nicht ohne Grund hat die Jahresgruppe in diesem Jahr die Überschrift „Manifestation“. Manus ist im Lateinischen die Hand. Und Facere heißt „machen“. Mein Anliegen ist jetzt nicht mehr nur, Menschen und Organisationen um alles Aufgesetzte, Feige, Doppelbödige zu bereinigen. Jetzt gehe ich so weit zu fordern: Mach was draus!

Foto Evelin: Garage alt

Und so entstehen in meinem Umfeld gerade ganz viele kleine und große Projekte, die Arbeit und Wirtschaft, Solidarität und Eigenständigkeit in einem Sinne manifestieren, in dem Feilschen und Horten keinen Platz mehr haben.

Die Hand anzulegen – am Morgen Feuer zu machen, dann Bäume pflegen, Dachbalken reparieren, Holz sammeln … das fühlt sich an wie den Finger an den Puls des Lebens zu legen. Viele Menschen in den Städten kennen dieses Gefühl nicht mehr. Mir war es durch meine wiederholten und langen Aufenthalte im Dschungel und in den Bergen nicht fremd, das einfache, händische Leben. Doch es kommt eine Qualität hinzu, wenn Du nicht nur Besucherin sondern Hüterin bist. 
Wenn Dir etwas anvertraut ist, in die Hände gelegt ist, das atmet, das Raum für Viele sein kann.

Mit jedem Stein, den ich hier bewegt habe, mit jedem Sack, den ich gehoben, mit jedem Scheit, den ich angezündet habe, sind meine Wurzeln gewachsen. Das Gefäß, das für meine spirituelle und kollektive Arbeit zur Verfügung steht, hat sich erheblich geweitet.

Foto Evelin: Garage neu

Ich glaube ich – oder Aditi – oder das Leben – hat mich einmal mehr erschaffen.

In diesem Sinne, Ihr Lieben, wünsche ich auch Euch, dass Euer Geist sich mit der irdischen Wurzel verbindet, dass Eure angstfreie Seele Eure fleißigen Hände führt und Ihr Gutes schafft. Für alle.

Zur Person: Evelin begleitet Menschen in Lebensphasen, in denen alte Strukturen und Überzeugungen zusammenbrechen und die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens deutlicher hervortritt.
Selbst ehemals Konzernstrategin führt sie durch einen strukturierten Prozess, die Füße fest auf dem Boden von Gemeinschaft, Wirtschaft und Mitverantwortung – das Herz weit für die urmenschliche Sehnsucht nach Integrität, Verbundenheit und einem Dienst aus dem Herzen. Das Buch zum Prozess „Was Dir wirklich wichtig ist. Arbeitsbuch zum Personal Empowerment“ erschien 2004 im Junfermann Verlag und ist bei Amazon bestellbar.
Mehr zu ihrer Arbeit unter www.evelinrosenfeld.de  und www.wertebasiertes–management.de

Nächste Wochenendkurse:
FÜNF WANDLUNGSPHASEN DER SEELE – DIAGNOSTIK: 24. und 25. Juni, Roßfeld,
THERAPIE:  01. und 02. Juli 2017; Roßfeld,
ERNÄHRUNG NACH DEN FÜNF ELEMENTEN: 22. und 23. Juli 2017 in Roßfeld;
DAS PFLANZENOPFER – Medizinpflanzen sammeln und weihen  – Basics zur Gewinnung von Heilpflanzen: 15. und 16. Juni 2017, Roßfeld; DAS RÄUCHERRITUAL – Basics zur Durchführung von Pflanzenopfern: 17. und 18. Juli 2017, Roßfeld (mehr Info zu den Pflanzenseminaren www.wildnatural‐spirit.org )

Sechsmal im Jahr gibt sie „Auszeiten“ – 14-tägige Retreats in Thailand, Teneriffa und Thüringen, in denen der Prozess sehr kompakt durchlaufen wird. Mehr Info: www.seminar-und-reisen.de

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5 Kommentare zu “Heilorte – die Brücke zwischen Ich und Es
  1. super super schön ! herzlichen Dank <3

  2. Ralph Wilbert sagt:

    Wow, sehr inspirierend und sehr nachdenklich machend. Das lesen des Artikels beruhigt und entspannt mich…. genial. Ralph aus Landsberg/Lech

  3. Felix Garbe sagt:

    Sehr mutig! Toll das du deinen Traum wahr machst,

  4. Björn sagt:

    Meine Gratulation zum Finden dieses Herzensortes!

  5. Miriam sagt:

    Ich hatte tiefe Sehnsucht nach Inspiration. Der Impuls tauchte auf, nach einem newslichter Artikel zu fischen mir dem heutigen Tages- und Monats-Datum, aber zwei Jahre zurück. So landete ich hier. Dieses Flüstern, das mich hierher geführt hat, konnte ich hören. Und dem neugierig folgen. Was für ein Segen!

    Danke Evelin für diesen tief gefühlten und so eindrücklich in Worte gebrachten Erfahrungsbericht. So sehr ermutigend!!! Eben ein Segen.

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