Spazierenstehen

Pepper mit Skulptur von Claudia Hanses

Von Claudia Hanses. Es schneit. Dicke Flocken schweben zu Boden, der Garten schlummert unter einer weißen Decke. An so einem Tag wärst du selbst im hohen Alter noch zu Hochtouren aufgelaufen, hättest übermütig im Schnee deine Kreise gezogen und versucht Schneebälle zu fangen. An so einem Tag … denke ich ganz besonders an dich.

Du warst eine „Thekenidee“ meines Mannes. Gemeinsam mit dem Nachbarn sollte es doch möglich sein, einen Hund zu betreuen und zu erziehen (dachten die zwei Männer).

Ich hatte keinen blassen Schimmer von diesem Vorhaben. Mein Mann hat dich mit unserer damals 9-jährigen Tochter beim Züchter abgeholt. Ein NEIN meinerseits wäre eine Kampfansage an das Kinderherz gewesen.

Zunächst schien das Konzept „geteilter Hund„ aufzugehen und du wurdest zwischen den Häusern hin- und hergereicht.

Bis der Nachbar die Partnerin wechselte… Du wolltest dich nicht mehr teilen lassen! Mit hängendem Kopf und eingezogenem Schwanz ließest du dich nur noch zum Nachbarn rüberschieben. Es zerriss uns das Herz…

Eines Tages sah ich wie du drüben mit Chips gefüttert wurdest. Da ist mir der Kragen geplatzt. Du durftest ganz bei uns einziehen und der Nachbar hat sich seinen eigenen Hund geholt. Schnell war klar: die Mama kümmert sich um Pepper, es sei denn sie bittet ausdrücklich um Entlastung. Zwischen Familie, Haus, Garten, Job, zahllosen Hol- und Bringfahrten , Katzen, zwei Isländern jetzt noch einen Vollzeithund.

Pepper und Claudia

Lange Zeit hast du mein Leben noch mehr beschleunigt. Wir wohnen zwar am Feldrand, ideal zum Gassigehen, trotzdem war jede Minute getaktet. Immerhin bist du schön am Fahrrad mitgelaufen und ich konnte das Ganze unter der Rubrik „sportliche Aktivität“ verbuchen. Bei Wind und Wetter an die frische Luft zu müssen, konnte auch nicht schaden.

Aber mit zunehmendem Alter blieb von den sportlichen Ausflügen nur noch das „Spazierenstehen“. Mein Verdruss über die öden täglichen Runden wurde immer größer. So einen Missmut hattest du nicht verdient. Ich ging mit mir selbst ins Gericht. Du warst der beste Hund der Welt (das sagt wohl jeder…) ; immer freundlich, hast nie unnötig gekläfft, niemanden angesprungen, geduldig gewartet und gut auf uns alle (auch die Katzen) aufgepasst.

Trotzdem fühlte ich mich sooo angebunden und unfrei in meiner Zeiteinteilung.

Irgendwann kam der Wendepunkt.

Foto: Claudia Hanses

Ich überlegte, wie ich diese seeehr langsamen Spaziergänge anders für mich nutzen konnte. Es gab schließlich Schlimmeres, als mit dem Hund spazieren gehen zu dürfen.
Ich begann Podcasts zu hören, für die ich mir sonst nie die Zeit genommen hätte. Manche waren so interessant, dass wir eine Extrarunde eingelegt haben.

Aber was noch viel wichtiger ist: Du hast mich total entschleunigt und mich das Staunen gelehrt !

Das Staunen wie es die Kinder noch ganz selbstverständlich tun und sich den kleinen Dingen verzückt hingeben können. Ich machte es mir zur Aufgabe von jedem Spaziergang ein schönes Foto mitzubringen.

Mittlerweile bin ich bekannt für einen besonderen Blick auf die Natur und die Wunder die sie uns schenkt. Tausende Fotos sind entstanden.

Foto: Claudia Hanses

Jeder Tautropfen enthält ein kleines Universum;
jede Pflanze ist viel mehr als sie mit bloßem Auge scheint;
Wolken entführen mich in den Himmel
und der Wald ist meine Kathedrale geworden.

Bis zum letzten Tag ist Pepper mit mir seine Runden gegangen.

Irgendwann als er mühevoll hinter mir hertrottete, hab ich mich zu ihm gekniet und ihm schluchzend gedankt, dass ich so oft mit ihm die Zeit vergessen durfte und er mir das Staunen und eine tiefe Dankbarkeit für die Wunder am Wegesrand gezeigt hat.

Aufgeschrieben im Februar 2021

Claudia Und Pepper

Claudia Hanses (Jahrgang 1966) lebt seit 1990 mit ihrer Familie im Westerwald. Sie ist Dipl.Sozialpädagogin, Heilpraktikerin, Geschäftsführerin der Firma WWTec GmbH&CoKG ; aber vor allem Künstlerin. Seit 10 Jahren nutzt sie die Werkstatt des Maschinenbaubetriebs um „federleichte Stahlpoesie„ zu verwirklichen. Pepper war lange Zeit ihr Wegbegleiter. Zu finden sind einige ihrer Werke unter : http://stahlpoesie.claudia-hanses.de/

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13 Kommentare zu “Spazierenstehen
  1. Andrea sagt:

    Das ist so wunderschön und rührt mich zu Tränen. Mein Pepper heisst Rio. Sie sind wahre Lebensgeschenke.

  2. Katrin sagt:

    Danke für diese wundervolle Geschichte. Ich sitze hier und heule und kann dich so gut verstehen. Unser Hund ist elf Jahre alt, eine alte Dame, sie trottet oft hinter uns her, und manchmal überwältigt mich die Liebe zu ihr, bin ich ihr so tief dankbar für alles, was sie uns geschenkt hat. Tiere sind so großartige Begleiter und Lehrer auf unserem Lebensweg.

    • Liebe Katrin,ich fand es irgendwann faszinierend wie selbstvergessen Pepper mir beim hinterhertrotten folgte , voller Vertrauen , scheinbar ohne Ziel… nur im Augenblick sein.
      Danke für deinen Kommentar !

  3. Dagmar sagt:

    Danke für’s teilen, mein Peppers hieß Grisu und war ein Kater der mich sehr viel gelehrt.

  4. Yvonne sagt:

    Ich wollte diese Geschichte erst nicht lesen …

    …. weil schon klar war, dass sie einen Tränenfluss hervorrufen würde. So oft habe ich schon beim Lesen solcher Geschichten des Abschieds von einem Tier „Rotz und Wasser“ geheult.
    Und irgendwie war ich dann doch neugierig.
    Um so erstaunter war ich dann als ich das Wort „Westerwald“ las ; )
    Diese Geschichte hatte sich also gut 10 Kilometer entfernt von mir abgespielt : )

    Da ist man im WorldWideNet unterwegs, und doch ist alles so nah.
    Und so hatte ich ein lachendes und ein weinendes Auge.

    Danke für dein Teilen,

    Hui Wäller

    Yvonne

    • Hui Wäller ,
      wie schön, dass du dich getraut hast meinen Text zu lesen.
      Wenn du die Geschenke erkennst , die dein Wegbegleiter dir dir zeigt wird aus der Trauer eine tiefe Dankbarkeit.
      Wir verkneifen uns alle so oft die Tränen…dabei zeigen sie wie berührbar wir sind egal ob Freude Trauer Mitgefühl Schmerz Glück sich so ihren Weg bahnen.

      Liebe Grüße aus der Nachbarschaft

  5. Kornelia sagt:

    Was für wunderbare, wahre Worte. Ich hatte auch das große Glück, von einem derart einzigartigen Wesen zurück zu mir geführt zu werden. Das mögen viele Menschen nicht verstehen können, die nie einen Hund zum Gefährten hatten, der ihnen täglich den Spiegel vor die Nase hält und die Welt von einer anderen, echten Perspektive aus zu betrachten lehrt. Auch wenn mein Josh(i) vor 1 1/2 Jahre die Ebene gewechselt hat, ist er immer in meinem Herzen und meine Dankbarkeit, diese intensive Zeit mit ihm gemeinsam verbracht haben zu dürfen, ist unendlich.

  6. Birte sagt:

    Auch ich „wollte“ den Artikel zuerst gar nicht richtig lesen, da ich weiss wie sehr mir so etwas immer ans Herz geht. Aber zu spät – nun habe ich ihn doch gelesen 😉

    Wie sehr man mit Tieren verbunden sein kann und wie viel man von ihnen lernen kann weiss wohl nur derjenige, der dies selbst schon einmal erlebt hat.

    „Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.“ – So ist es für mich auch wenn man seinen treuen Weggefährten bis zu seinem Ende begleitet.

    Kein leichter Gang, dennoch geht dieser auch mit grosser Dankbarkeit und innerem Wachstum einher.

    Danke für diesen wundervollen Artikel.

    Die Dinge wieder achtsamer wahrzunehmen ist etwas so wichtiges was Pepper gelehrt hat. Und das Bild mit seinem Skulptur-Ebenbild finde ich sehr gelungen 😉

    Liebe Grüsse 🙂

  7. Sabine Wippich sagt:

    Das ist so toll danke dafür!!! Unser „PEPPER“ hieß LUC, aus demmtierheim und border Mischling und ist vor zwei Jahren gegangen und sein Bruder Blacky ist noch da und ist auch schon 13….
    Danke für diese wundervolle geschichte… 👍 🙏

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