Kein richtig falsches Leben


Von Michael Würfel – (zuerst veröffentlicht im eurotopia-Blog im Frühjahr 2021, überarbeitet November 2021). Ich glaube wirklich, dass wir Menschen Gemeinschaft lernen müssen. Wie das genau aussehen soll, weiß ich nicht, aber ich sehe keine Zukunft, wenn wir neben- und gegeneinander leben – von einer parasitären Marktwirtschaft regelrecht gegeneinander aufgehetzt.

Dabei bin ich selbst weder gerne missionarisch unterwegs noch ein besonders gutes Beispiel – ich bin überhaupt kein Muster-Gemeinschaftsmensch. Auch ich muss Gemeinschaft lernen. Ich wurde von Dagobert Duck sozialisiert: Mit dem richtigen Projekt, der sprichwörtlichen „kleinen geilen Firma“, mach ich so viel Geld, das wenigstens ich (und meine Familie) versorgt sind. Das ist nicht gerade solidarisch. Und abgesehen davon, dass es in 49 Jahren auch nicht so gut geklappt hat mit der kleinen geilen Firma, ist auch offensichtlich, dass das nicht der Weg ist, der die Menschheit in die gute Zukunft bringt.

Also setze ich mich dem Experiment Gemeinschaft aus und lebe im Ökodorf Sieben Linden. Seit 2007 komplett; davor war ich oft Gast und habe 2001 schon mal einen Film über dieses Neubaudorf gedreht. In 14 Jahren hat dieses „Projekt“, dieses „Experiment“ seinen Reiz für mich nicht verloren – und nebenbei lebe ich ganz zufrieden mein ganz privates Leben mit Hausbau, Kindern, Partnerschaft und weiteren Beziehungen.

Was heißt nachhaltig?

Gemeinschaft ist kein Selbstzweck für mich; dazu gehört untrennbar, dass wir hier ein Leben führen, das in vielerlei Hinsicht nachhaltiger ist als ein Leben in der Individualgesellschaft. Ökonomisch (Gemeinschaft macht mich reich: ich habe Zugriff auf Sauna, Autos, Badeteich, Räume u.v.m.), sozial (ich habe so viel gelernt hier und so viele Möglichkeiten, leicht und nicht oberflächlich mit anderen Menschen zu interagieren), kulturell (man kann das Ganze auch als soziale Plastik verstehen – aufgeschlossen für neue Inspirationen und immer da als dankbares Publikum für meine eigenen Ideen, mal ganz abgesehen davon, wie inspirierend die Ideen der anderen für mich sind – und alles ganz nah dran quasi zum Anfassen – Tanz, Musik, verschiedenste Arten von Kunst, Witz und Karaoke…) und vor allem eben ökologisch: Wir führen ein Leben, das nicht im Widerspruch zu dem steht, was wir über die Auswirkungen unseres Verhaltens wissen.

Kein Wunder, dass ich immer mal wieder filmen wollte, was wir hier leben.

Vieles am Leben in Gemeinschaft ist tatsächlich real besser als in der Ellenbogengesellschaft – das lässt sich leicht mit ein paar Aufnahmen im Sommer zeigen, wenn wir im Teich plantschen, Feste feiern oder über unseren Bildungsbetrieb die halbe Welt zu Gast haben. Oder mit ein paar Drohnenflügen bei günstigen Lichtverhältnissen.

Aber:

Einiges ist auch nicht besser. Menschen klagen darüber, dass das Leben anstrengend sei, und/oder ziehen wieder weg. Es gibt verschiedene Meinungen über den richtigen Weg, und manchmal verhärten sich die Fronten, anstatt dass gemeinsam nach Kompromissen geschaut wird. Und viele ertrinken ausgerechnet in den E-Mails, die innerhalb der Gemeinschaft verschickt werden – das ist doch absurd!

Und da kommt wieder der Dagobert in mir zum Zuge: Wenn wir diese Probleme noch lösen könnten, wäre die Gemeinschaftsidee endlich ausentwickelt und marktreif – und wir werden reich. UND ZWAR ALLE – weil wir dann alle besser leben können.

Ich glaube, dass Gemeinschaft gut für uns ist. Und es ist meine Überzeugung, dass es der Idee von Gemeinschaft gut tut, wenn wir möglichst transparent darstellen, was daran funktioniert und was nicht. Und so zeigt „Kein richtig falsches Leben“ nicht nur, wie so ein Leben in Gemeinschaft funktioniert und wie es den Leuten damit geht – sondern auch, wo es hakt.

Natürlich zeige ich nur ein paar Beispiele und da der Film völlig unfinanziert war (das heißt: Ich hatte nie Zeit, einfach tagelang zu beobachten, sondern habe den Dreh zwischen meine anderen Aufgaben gequetscht), sind meiner Virtuosität Grenzen gesetzt (die sonst natürlich beträchtlich wäre :-)). Ich konnte aber genug Material sammeln, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie cool es ist, gemeinschaftlich zu leben, Kinder groß zu ziehen, zu feiern und ein Dorf aufzubauen – und wie schmerzhaft und schwierig es ist, zwischen kollektivem Ziel, individueller Freiheit und einem einfach guten Leben auszumitteln.

Michael Würfel

Dokumentarisch?

Ist das noch ein Dokumentarfilm, wenn jemand ihn dreht, der schon so genau weiß, was er richtig und was er falsch findet? Ja, gute Frage, und wahrscheinlich finden viele Dokumentarfilmpuristen, dass so ein Film viel offener sein müsste. Beobachtender. Der Film ist auf mehreren Dokumentarfilmfestivals nicht gezeigt worden und ich kann nur vermuten, dass es daran liegt, dass Kein richtig falsches Leben kein hauptsächlich beobachtendes Werk ist. Zwar ist der Film kein filmisches Fertiggericht wie das, was im Fernsehen serviert wird, aber durch den Einsatz von Sprechertext werden einige Zusammenhänge erklärt, die sich Zuschauenden dann nicht mehr selbst erschließen können (müssen). Das ist allerdings beabsichtigt, denn nach über 20 Jahren Öffentlichkeitsarbeit für Sieben Linden weiß ich ein bisschen, welche Fragen vom Projekt Ökodorf schnell aufgeworfen werdne und im Film lieber zügig beantwortet werden, um Raum zu schaffen für die interessanten Dynamiken in der Gemeinschaft – die nur verstanden werden können, wenn das Grundkonzept klar geworden ist.

Ich schätze noch beobachtendere Dokumentarfilme sehr und schließe mitnichten aus, dass großartige Filmemacher*innen mit entsprechenden Etats auch das Sujet „Gemeinschaft“ als großen Dokumentarfilm richtig gut in Szene setzen können – und ich würde mich freuen, wenn das passiert. Ich habe seit meinem ersten Ökodorf Film Leben unter Palmen versucht, ein Filmprojekt dieser Art auf die Beine zu stellen. Es ist immer schon daran gescheitert, dass ich nicht geschafft habe, Interesse bei Geld gebenden Institutionen zu generieren. Deswegen habe ich 2019 beschlossen, einen neuen Film über das Ökodorf eben doch einfach selbst zu finanzieren und mit dem Gemeinschaftsverzeichnis eurotopia zusammen zu produzieren.

Nun ist Kein richtig falsches Leben auch wirklich der bei weitem genialste Film über das Leben in Gemeinschaften und die Schwierigkeiten daran geworden – weil es momentan wirklich nur diesen einen Film gibt, der sich in der Tiefe mit dem „Leben in Gemeinschaft“ beschäftigt und der Beste ist, den ich unter den gegebenen Bedingungen machen konnte.

Der Film Kein richtig falsches Leben von Michael Würfel zeigt mit Humor und ganz nah dran, wie ein Leben in Gemeinschaft aussehen kann – und ist damit der einzige aktuelle Dokumentarfilm dieser Art. Das Ökodorf Sieben Linden ist zwar in Fernsehen und Printmedien präsent und wird mit seinem erfolgreich kleinen ökologischen Fußabdruck bewundert (der nur ein Drittel so groß ist wie der deutsche Durchschnitt (Link zur Quelle)), aber wie herausfordernd so ein nachhaltiges Leben in Gemeinschaft dann doch ist, wird in kurzen Beiträgen und Artikeln natürlich nicht herausgearbeitet. Was genau das Tolle und was das Anstrengende an so einem Leben ist, zeigt Kein richtig falsches Leben.
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2 Kommentare zu “Kein richtig falsches Leben
  1. Wim Lauwers sagt:

    Ich möchte den gerne mal sehen!?

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