Zuwendungen – Das geheime Leben alltäglicher Wörter

Von Dirk Grosser. Seit vielen Jahren bin ich ein großer Bewunderer der Arbeit von David Whyte. Für mich ist er – neben Mary Oliver und John O’Donohue – eine der wichtigsten poetischen Stimmen der Gegenwart, mit einem feinen Gespür für die Zwischentöne des Lebens, für den Nebel, der über Hochmoore kriecht, für den Geruch des Herbstlaubes, für den Mensch in der Landschaft und die Berührungen, die die Welt uns zuteilwerden lässt.

Nun ist endlich ein Buch von ihm auf Deutsch erschienen. Keiner seiner Gedichtbände, sondern eine Sammlung kurzer und doch so reichhaltiger Essays über Worte, ihre tiefere Bedeutung und ihre unsichtbare Kraft, die in der Seele wirken kann. Mit großer Achtsamkeit und einem frischen, unverstellten Geist nähert sich Whyte Worten wie „Allein“, „Ehrlichkeit“ oder „Rückzug“. Auch der Verletzlichkeit, der Sehnsucht und dem Spuk sind Kapitel gewidmet, ebenso der Reife und dem Zorn und vielen anderen.

„Zuwendungen“ nennt David Whyte diese Texte – und der Titel trifft den Inhalt auf vielerlei Weise: den Menschen zugewandt, dem Menschlichen als solches zugewandt; sich der Natur zuwendend … und ebenso auch: dabei sein, Zeuge sein, wie geheimnisvolle Kräfte in dieser Welt, Bewegungen von Verlockung und Verwirrung, von Wunden und Wundern sich einander zuwenden und uns dabei in den Kreis des Echten einladen.

Man braucht Zeit und das heute so selten gewordene Gut der Muße, um dieses Buch zu lesen – doch wenn man sich wirklich aufmerksam darauf einlässt, dann schenkt es einem den innersten Sinn unserer Sprache zurück und erhellt damit ebenso mit jedem Wort das Innerste unseres Menschseins.

Ein Buch, das nah geht, das uns viel über uns selbst lehrt, uns vermittelt durch Worte und ihren Gebrauch einen Spiegel vorhält, uns verletzlich macht und uns gleichzeitig zeigt, dass „vor Verletzlichkeit zu fliehen, heißt, vor der Essenz unserer Natur zu fliehen“. Diese Essenz unserer Natur zu entdecken, oder uns zumindest zu helfen, uns auf die Entdeckungsreise dorthin zu begeben, ist das eigentliche große Geschenk dieser „Zuwendungen“, denen ich wirklich viele, viele Leser und Leserinnen wünsche.

Dirk Grosser

Dirk Grosser ist Autor, Musiker und Seminarleiter und er berät zudem Menschen in spirituellen Krisen. Sein eigener spiritueller Weg ist beeinflusst von der Philosophie der Antike, der Naturmystik und der keltisch-mystischen Tradition, den nordisch-schamanischen Wegen, Meditation und eigener Naturerfahrung. Er hat die Begabung, in seinen Workshops und Büchern alte Geschichten auf neue Weise zu erzählen und damit die Weisheit der Mythen lebendig werden zu lassen. https://www.dirk-grosser.de

Verlagsinfo: Zuwendungen – Das geheime Leben alltäglicher Wörter

Viele der Wörter, denen sich David Whyte in diesen kurzen Essays zuwendet, scheinen vertraut zu sein. Von »Freude«, »Ehrlichkeit« und »Berührung« meinen wir zu wissen, was sie bedeuten. In den Betrachtungen des britisch-amerikanischen Dichters gewinnen diese Begriffe eine neue, unerwartete Strahlkraft, sie beginnen zu funkeln.

»Zuwendungen« fängt an mit dem Wort »Allein« und endet mit »Zorn«. Beide Begriffe meinen wir zu kennen – und halten sie für wenig vielversprechend. Aber: »Allein sein zu wollen, bedeutet, eine gewisse Gastfreundschaft durch das Gespräch zurückzuweisen und sich einer anderen Tür und einer anderen Art von Begrüßung zuzuwenden, die nicht unbedingt von menschlichem Vokabular definiert ist.« Und: »In seinem reinem Zustand ist Zorn das Maß dafür, wie weit wir in die Welt verstrickt sind und durch die Liebe in all ihren Einzelheiten verletzlich werden.« Hier reinlesen und bestellen.

Urkraft des Mythos

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2 Kommentare zu “Zuwendungen – Das geheime Leben alltäglicher Wörter
  1. Lia sagt:

    Danke. Sehr.
    Ich teile hier einmal einen engl. Text von David Whyte, der mich gerade auch sehr berührt..

    https://www.themarginalian.org/2016/04/11/david-whyte-vulnerability/

    Vulnerability is not a weakness, a passing indisposition, or something we can arrange to do without, vulnerability is not a choice, vulnerability is the underlying, ever present and abiding undercurrent of our natural state. To run from vulnerability is to run from the essence of our nature, the attempt to be invulnerable is the vain attempt to become something we are not and most especially, to close off our understanding of the grief of others. More seriously, in refusing our vulnerability we refuse the help needed at every turn of our existence and immobilize the essential, tidal and conversational foundations of our identity. (…)

  2. Miriam sagt:

    Danke Dirk, danke auch dir, Lia – es ist mir eine Freude, David Whyte durch euch zu entdecken! Lieber Dirk, ob du zur Qualität der Übersetzung der deutschen Ausgabe von „Zuwendungen“ etwas sagen magst? Wie nur kann so ein besonderes Projekt gelingen und dem Original nahe kommen im Wechsel von einer Sprache zur anderen? Würdest du selbst wohl das Buch auf Deutsch oder auf Englisch lesen, wenn du die Wahl hättest?

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