Charles Eisenstein: Die nächsten fünf Jahre


Von Charles Eisenstein. Vor ein paar Wochen sprach ich vor ein paar hundert Menschen in Boulder, CO, zum Thema „Die nächsten fünf Jahre“. Das Hauptthema war, wie man in verrückten Zeiten bei Verstand bleibt. Wir stehen vor einer Zeit der Turbulenzen, nicht nur in Bezug auf äußere Angelegenheiten, sondern auch in Bezug auf unsere Art, Sinn und Bedeutung zu finden.

Wir befinden uns inmitten einer beschleunigten Auflösung unserer kollektiven Geschichten und Vereinbarungen. Die Bollwerke der alten Realität zerbröckeln. Ihre Garnisonen (z. B. die Mainstream-Medien) schauen nervös über ihre Schultern. Diejenigen, die uns erzählen wollen, was der kommende soziale, wirtschaftliche und politische Umbruch bedeutet, haben ihre Glaubwürdigkeit und ihr Vertrauen verloren. In den nächsten fünf Jahren werden sich alle möglichen neuen Geschichten, neuen Bedeutungen und neuen Identitäten als Ersatz für die alte Ordnung anbieten. Nur wenige von ihnen werden gesund sein, aber alle werden zumindest ein Körnchen Wahrheit enthalten. Wie können wir in diesem Strudel die Vernunft bewahren?

Die Covid-Ära war ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird. Der pandemische Wahnsinn mag vorbei sein, aber keine der sozialen oder politischen Bedingungen, die ihn begünstigt haben, haben sich geändert. Ich glaube nicht, dass wir mit einer weiteren Pandemie konfrontiert werden, so sehr einige diese Möglichkeit auch nutzen möchten, um uns auf Kriegsfuß zu halten. Nein, eine andere Art von Wahnsinn wird auf dem fruchtbaren Boden der Phobien, der Spaltungen und der unverarbeiteten Traumata der Gesellschaft Wurzeln schlagen. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Wir haben in den letzten Jahren viel gelernt: was Mut ist, was Wahnsinn ist, wie sich der Mob formt, wie er manipuliert wird, welche Kräfte hinter den Kulissen am Werk sind, wer für sie anfällig ist und wer nicht. Wir haben jetzt die Möglichkeit, dieses Wissen anzuwenden, um gesund zu bleiben und die Vernunft für andere zu bewahren.

Diese Rede ist der Auftakt zu einem neuen Programm, das ich in etwa einem Monat ankündigen werde: das Sanity Project – Gesundheit Projekt. Wie ich in der Rede sage, geht es beim Gesundbleiben nicht einfach darum, richtige Informationen zu hören oder richtige Meinungen zu haben. Letztlich geht es darum, Beziehungen wiederherzustellen. Ein Mensch, der keine Beziehungen hat, wird verrückt. Die Realität der menschlichen und nicht-menschlichen Anderen wird zur Theorie. Geschichten über andere ersetzen die direkte Erfahrung mit anderen. Vernunft ist ein Gruppenprojekt.

Charles Eisenstein, Jahrgang 1967, graduierte an der renommierten Yale University in Philosophie und Mathematik. Vertiefte Studien in Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte schlossen sich an. Unzufrieden mit der kompetitiven Struktur der Wirtschafts- und Arbeitswelt, arbeitete und lebte er lange Zeit als Dolmetscher in Taiwan. Persönliche und globale Krisensituationen führten ihn zu einer intensiven Beschäftigung mit der Body-Mind Medizin und -Philosophie. Heute gilt er als einer der wichtigsten Vordenker für eine ökologische, vom Geld unabhängigere Lebensweise. Er präsentiert seine Visionen als gefragter Vortragsredner, veranstaltet Seminare und verfasst Essays und Bücher. Hier mehr.

 

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9 Kommentare zu “Charles Eisenstein: Die nächsten fünf Jahre
  1. Mirjam Amann sagt:

    was mich ein bisschen stört, ist deine Formulierung, dass man bei dir die richtigen Informationen erhält und lernt wie man die richtige Meinung hat.. ich habe das Gefühl, dass es in unseren neuen Beziehungen auch darum geht richtig und falsch außen vor zu lassen und mit mehr Toleranz zu leben und auch immer wieder das eigene dabei kritisch zu hinterfragen.
    Diese Formulierungen lassen mich erst einmal skeptisch sein,was dein Programm betrifft. Vielleicht ist das ja eine wichtige Information für dich und du meinst es ganz anders. Liebe Grüße Mirjam

    • Miriam sagt:

      Liebe Mirjam, ob du dich auf den deutschen newslichter Text beziehst? Womöglich hat da eine Feinheit in der Übersetzung zu einem Missverständnis geführt. So wie ich diese Textstelle verstehe, formuliert Charles es geradewegs als Gegensatz zum hilfreichen Weg: „staying sane isn’t simply about hearing correct information or having correct opinions.“ Also es geht nach seiner Einschätzung eben gerade nicht, indem wir die „richtigen“ Informationen oder Meinungen haben. Sondern durch Verbindung, Kontakt und den Ausstieg aus der Erzählung, ich/meine Gruppe seien menschlich/gut/korrekt und „die anderen“ seien schlechter, weniger, geringer. Charles: „Ultimately, it is about restoring relationships. A disconnected person goes mad. The reality of human and non-human others becomes theoretical. Stories about others replace direct experience of others. Sanity is a group project.“ Liebe Grüße! — https://charleseisenstein.substack.com/p/the-next-five-years

      • Mirjam Amann sagt:

        Liebe Miriam, herzlichen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast das zu hinterfragen und richtig zu rücken❤️
        so hört sich das Ganze für mich viel schöner an
        Liebe Grüße Mirjam

    • …da stimme ich dir völlig zu. Gerade das „richtig“ und „falsch“ ist eine individuelle Betrachtungsweise. Möchte ich mit dem „Anderen“ kommunizieren, ihn verstehen lernen, sollte ich das „richtig“ und „falsch“ aussen vor lassen, um deine Worte mal zu verwenden! Dieter

  2. Andrea sagt:

    Möglicherweise ist es der Übersetzung geschuldet, dass dieses ‚richtig‘ ein bisschen absolutistisch anmutet bzw. dem Paradox: Richtig ist, dass es kein einfaches Richtig mehr gibt.

    Ich verspüre beim ersten Lesen unmittelbar Angst und Bedrohung durch die beschriebenen Aussichten und möchte am liebsten schnell zu einem anderen – hoffnungsfroheren- Text wechseln. Wenn ich mich dann versorge, die Angst beatme und zu mir sprechen lasse, dann kann ich mich dem Text hinterher auch offener widmen.

  3. Danke für die Übersetzunghilfen von Euch – Deepl ist halt nicht perfekt. Gerne das Video dazu schauen – dann wird es noch klarer. Wer Charles Eisenstein schon länger verfolgt, weiss dass er immer Brücken bauen will! Danke für die Erläuterungen in diesem Sinne bei den newslichtern durch wirklich englisch Kundige 🙂

  4. Miriam sagt:

    Mir scheint, das Wort „nur“ an der entsprechenden Textstelle durch „einfach“ – für engl. simply – zu ersetzen, würde Charles‘ Anliegen stimmiger zum Ausdruck bringen und womöglich die inhaltliche Stolperfalle im Lesen der deutschen Übersetzung auflösen. – Übersetzen ist wirklich eine hohe Kunst. In die soviel mehr einfließt als Vokabelkenntnisse und Grammatik. Das wird mir deutlicher, je mehr ich selbst hier und da damit zu tun habe. Lesend oder gelegentlich auch übersetzend. Liebe Grüße ins Land wachsender Geduld, Zugewandtheit und Verbundenheit

  5. Elanne sagt:

    Auch wir können unsere eigenen Wörter übersetzen: gesund kommt von Sein.
    Hier passt das Wort, finde ich, gut.
    Weil mir Nachfragen fehlen in Bezug auf „Erzählung“, history als“his story“,
    ich denke an Maria Magdalena, biete ich meine Telefonnummer an, um mir
    Fragen zu stellen.
    0551 30 77 30 37

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