Ärsche, Haare, Zähne, Aladin & die Liebe

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Prolog: Diesen Text schrieb ich irgendwann vor vielen Jahren. Und ich tat es mehr für mich selbst als für die Welt. Vor allem traute ich mich damals nicht, damit öffentlich zu werden. Denn man könnte meinen, ich verliere mich hier in einer gewissen Verantwortungslosigkeit. Doch habt ein bisschen Geduld mit mir. Ich übernehme die Verantwortung für meine Wahrnehmung der Realität. Und ich bleibe unterscheidungsfähig. Es braucht nur einen Moment. Ein kleines Vorspiel sozusagen. Denn ich spüre, dieser Text hat seine Berechtigung und seinen Wert. Und jetzt ist sein Moment gekommen.

Dies ist ein Text über meine Wut. Meine Wut über all die Ärsche mit Haaren auf dieser Welt, die so viel ackern, dass sie sich an das Alter ihrer Kinder und die Augenfarbe ihrer Partner*innen kaum noch erinnern. Doch sie sind überzeugt davon, dass ihr unermüdliches Schaffen und das Geld, das sie dabei verdienen, sie zu besonders wertvollen Wesen macht.

Zumindest an der Oberfläche halten sie sich für so wichtig, dass sie es nicht mehr nötig haben, danke zu sagen. Oder bitte. Sie haben sich an die Vorstellung gewöhnt, dass alle Welt um sie herum ihnen gehört und ihnen dient. Sie manipulieren und glauben, sie hätten Recht. Sie belehren und halten sich für Lehrer. Sie kontrollieren und meinen, sie hielten die Welt in ihrer Achse. Manche der älteren Generation nehmen inzwischen den Ausweg in die Demenz, weil sie es so mit sich und den anderen leichter aushalten.

Sie kommen und gehen, wann es ihnen passt und nennen es Freiheit. Sie ignorieren die Bedürfnisse und Wünsche anderer und halten das für machtvoll. Sie hören immer nur die Hälfte, weil die andere Hälfte von ihnen damit beschäftigt ist, sich eine Replique zurechtzulegen. Und sie behaupten, niemand höre ihnen zu, wenn ihre sogenannten Bitten nicht erfüllt werden. Wer sie nicht erfüllt, ist ein Abtrünniger und wird mit Nichtachtung gestraft. Oder eine Abtrünnige. Sie gehen räuberisch mit ihrer eigenen Zeit und Energie um und verlangen von anderen dasselbe, wenn sie mal wieder zu einer Verabredung zu spät kommen, bis tief in die Nacht wüten oder ihren Tagesplan so vollpacken, dass selbst Aladin und sein Flaschengeist überfordert wären.

Sie erwarten von ihren Söhnen und Töchtern, dass sie sie stolz machen. Dabei sind sie nicht einmal auf sich selbst stolz. Sie verlangen, dass ihre Kinder „etwas aus ihrem Leben machen“, ohne sich mal Hand aufs Herz zu fragen, was sie eigentlich aus ihrem eigenen Leben machen. Und vor allem haben sie in der Regel nicht den leisesten Schimmer, was sie selbst, ihre Kinder oder Partner*innen in der Tiefe bewegt, woher sie kommen und wohin sie gehen wollen. Sie hatten ja gar keine Zeit in all den Jahren, um sie oder sich selbst mal ausgiebig anzusehen, geschweige denn, jemandem zuzuhören oder sich zu einem kleinen Spiel im Sandkasten verführen zu lassen.

Vielleicht kennst Du so einen Arsch mit Haaren. Oder Du bist selbst einer. Oder vielleicht kennst Du nur sein höfliches Lächeln oder seine charmanten Worte, wenn er gerade mal den Arsch bedeckt hält, weil niemand, mit dem er schon eine Weile sein Bett und seinen Tisch teilt, in der Nähe ist.

Ja, all diese Ärsche mit Haaren sind überfordert. Meist sind sie auch sehr müde, verletzt und so wütend, wie ich gerade. Sie fühlen sich ebenso mies wie diejenigen, die sich bereitwillig auf den beschissenen alten Tanz mit ihnen einlassen. Ja, in Wahrheit sind sie Engel auf Erden, für all diejenigen, die ihnen permanent die Ärsche hinterhertragen, und denen dadurch oft Haare auf den Zähnen wachsen. Die sich selbst, ihre Kraft, Unschuld, Lust und Schamlosigkeit zurückhalten, weil sie immer noch an ihre Wert- und Machtlosigkeit glauben. So wie ich von Zeit zu Zeit immer noch daran glaube. Und dann kehre auch ich den Arsch heraus oder lasse mir Haare auf den Zähnen wachsen.

Wer zu lange die eigenen Grenzen vernachlässigt, wird traurig und – hoffentlich irgendwann – auch wütend. Und wer dauerhaft den Kontakt mit seiner Seele opfert, wird gewalttätig – mit Gewalt tätig.

In unserer alten Welt lernen wir von klein an das Konzept von Gut und Böse, von Angriff und Verteidigung, von Besser und Schlechter. Kaum eine moderne Kultur der Welt gibt den brillianten, leuchtenden Wesen, die wir sind, wenn wir geboren werden, dauerhaft den sicheren Raum, in dem wir im Bewusstsein unserer Einzigartigkeit, unserer machtvollen Herzen, unserer Schöpferkraft, Liebesfähigkeit und einer tiefen unerschütterlichen Verbundenheit mit Allem was ist friedlich, unbeschwert und sicher aufwachsen können.

So war das. Jetzt ist die Zeit, in der all das endet. Wer sich benimmt wie ein Arsch, der braucht dringend die Erfahrung der Grenze eines anderen Menschen, der sich gerade selbst spürt, so dass er auch eine Chance bekommt, sich wieder selbst zu spüren. Und wer sich selbst behandelt wie einen Arsch, und damit die Ärsche mit Haaren in Scharen in sein Bett und an seinen Tisch einlädt, braucht diese Menschen, damit er sich in ihrem Spiegel klarsehen und wiederfinden kann. Sobald wir uns selbst wieder gut – nämlich integer – behandeln, uns wieder spüren und unsere Mitte finden, offenbaren sich uns die Engel hinter den Ärschen dieser Welt. Oder sie verschwinden einfach aus unserem Leben. Immer sind und waren sie in Wahrheit ein Teil von uns.

Liebe, Partnerschaft und Familie – ebenso wie Beziehungen zwischen Völkern – sind keine Privatsache. Sie waren es noch nie. Und sie dürfen es niemals mehr sein. Als Führende, Liebende, Eltern und Kinder brauchen wir die ehrliche und achtsame Unterstützung einer wachen Gemeinschaft. Weder Erwachsene noch Kinder sind dafür geschaffen, sich im Saft der Muster weniger naher Bezugspersonen zu drehen. Wir brauchen vielfältige Perspektiven, Zeit, Zärtlichkeit, Verständnis, Nähe, Zugehörigkeit, Berührung, Zuhören, Achtsamkeit und totale Annahme für die, die wir in jedem Moment sind. Wir brauchen offene, ehrliche Fragen statt Rhetorik. Wir brauchen den Spiegel vieler, die wach sind, es gut mit uns meinen und keine Agenda verfolgen. Wir brauchen Lachen und Spiel, Entspannung und Klarheit. Jeden Tag.

Wir Frauen brauchen Frauenkreise, in denen wir uns als Schwestern nähren und uns gegenseitig an unsere Hoheit, Sinnlichkeit und Kraft erinnern, anstatt zu konkurrieren oder uns miteinander in lauwarmer Scheinharmonie, Tratsch und Pseudospiritualität einzurichten.

Und unsere Brüder brauchen Männerkreise, in denen sie sich gegenseitig an ihre Würde, Klarheit und Präsenz erinnern und sich keine dämlichen Egospielchen mehr durchgehen lassen.

Ich weiß, wovon ich spreche. Und Ihr wisst es auch.

Dies ist auch ein Text über meine tiefe, bedingungslose Liebe. Liebe zu diesem Leben, das uns unermüdlich und absolut zuverlässig all die grandiosen Momente und Erfahrungen ermöglicht, für die wir gekommen sind. Liebe zu diesem Moment, der immer gut ist. Und Liebe zu all den Menschen und Wesen, die täglich gemeinsam mit mir durchs Leben gehen, und mir immer wieder großzügig Spiegel sind für alles, was ich in jedem Moment bin.

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Claudia

Claudia Shkatov
TELLING A NEW STORY

www.claudiashkatov.com
Mentoring for a New Time

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9 Kommentare zu “Ärsche, Haare, Zähne, Aladin & die Liebe
  1. Bärbel Limprecht sagt:

    Ein sehr kraftvoller,tiefer Text.
    Ich kann dich sehr gut fühlen und mich und Erlebtes auch.
    Danke Claudia,du hast mich sehr berührt heute Morgen.
    Liebe Grüße Bärbel

  2. Anna sagt:

    Liebe Claudia,
    für mich könnte der Text gestern geschrieben worden sein😘 Diese Wut ist mir sehr vertraut und es tut so gut sie beim Autofahren, im Wald oder im Keller einfach nur rauszuschreien.
    Ganz lieben Dank für die Erinnerung.
    Vielleicht gehe ich heute nochmal in den Wald.
    Dicke Umarmung von Anna

  3. Janine sagt:

    Liebe Claudia, Deine Wut ist ein Geschenk.

    An uns ALLE.

    Hab einen wundervollen Tag, vielen Dank, Janine

  4. Romy sagt:

    Zum zwei- dreimal lesen. Drüber nachdenken. Einordnen. Und unbedingt teilen. Ich zum Beispiel mit meiner fernen/Herzensnähen Tochter. Wie viele wir doch sind. Ich danke von Herzen.

  5. Liebe Claudia!
    Diese Wut kenne ich gut.
    Ich bin dir dankbar für diesen kraftvollen Ausdruck und die Gedanken, die sich aus der Wut heraus auch bei mir manifestieren.
    In meinem gerade erschienen Buch (https://imke-rosiejka.de/biografie-2-0/) geht es auch genau darum – und es zeigt auf, woher kommt und was uns bisher eher davon abgehalten hat, achtsam, liebevoll, zärtlich annehmend … miteinander zu sein.
    Möge sich der friedvolle und herzenswarme Weg durchsetzen.

    Herzensgrüße
    Imke

  6. Michaela sagt:

    Liebe Claudia,

    vielen Dank für diesen sehr guten und ehrlichen Beitrag.
    Ist mir morgens immer eine Freude und Inspiration, deine Worte mit in den Tag zu nehmen. Ich freue mich immer über einen Beitrag von dir, du sprichst mir aus der Seele, bitte weiter so!!
    Ich danke von Herzen.

    Michaela

  7. Iris sagt:

    Hahaaaa – Ärsche mit Haaren – dieser Artikel erheitert und befreit mich. 🙂 Danke, liebe Claudia!

  8. Hanna Ekke sagt:

    Danke für diesen herrlichen Text, liebe Claudia! Du hast es wirklich drauf, die Dinge auf den Punkt zu bringen!! Von Herzen danke für deine klaren wahren Worte, in denen sich wohl die meisten von uns wiederfinden können. Ich finde es selbst mit 70 noch schwer, meine Erziehung zur Anpassungsbereitschaft abzulegen! All dieses lieb und nett und versöhnlich sein…Dein Feuer steckt meines mit an! Danke dafür, Hanna

  9. Wim Lauwers sagt:

    Danke Claudia für Deine Wut. Nur der letzten Absatz von Deiner Wut gefällt mir. Wahrscheinlich hattest Du gerade so einen Menschen getroffen und er/sie/es Dich. Mich interessieren Solche nicht. Ich gib ihnen keine Energie. Bin lieber unterwegs mit Gleichgesinnt*innen in der neuen Welt.
    <3 <3 <3

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