Rituale an Lebensübergängen

Foto: Sabrina Gundert

Von Sabrina Gundert. Eines der eindrücklichsten Rituale habe ich mit einem Badehandtuch am Boden gemacht: Es war die Zeit nach einer Trennung und ich wusste, ich würde nach all den Tränen, den Gesprächen und dem Abschied einen klaren Übergang wollen. Ein Ritual.

So entwickelte ich ein Ritual, bei dem ich ein Handtuch auf den Boden unserer bisherigen gemeinsamen Wohnung legte und meinen Partner bat, mitzumachen. Er war dafür, willigte ein und so stellten wir uns auf die eine Seite neben das Badetuch. Sie stand für den gemeinsamen Raum, für die Zeit, die wir zusammen verbracht hatten. Die andere Seite vom Badetuch stand für das Neue – den noch unbekannten Raum, in dem jeder von uns für sich alleine weitergehen würde. Das Badetuch, zusammengerollt zwischen diesen beiden Seiten, ergab die Schwelle zwischen beiden Räumen.

Wir standen da auf der einen, vertrauten Seite. Reichten uns die Hände, sagten all das, was es noch zu sagen gab. Ein Dank, ein Abschied, ein vertrautes sich an den Händen halten. Wir umarmten uns, es war heftig, schmerzlich zugleich. Dann ging jeder von uns nacheinander einzeln über die Schwelle. In den Raum, wo wir kein Paar mehr sein würden, sondern Singles – jeder für sich weitergehend auf dem eigenen Weg.

Was soll ich sagen: Es war heftig und befreiend zugleich. Vor allem war es unglaublich: Als wir uns nach wenigen Tagen wiedersahen und umarmten, war es, als würde ich einen neuen Menschen umarmen. Jemand, der mir unbekannt und fremd war. Ich erschauderte – damit hatte ich nicht gerechnet, dass ein Ritual, der Schritt über das Badehandtuch, so intensiv sein kann.

Alltagstaugliche Rituale für Lebensübergänge

In der Ritualarbeit war ich damals schon länger tätig, doch es waren meist große, gut vorbereitete Rituale, die ich kannte. So, wie du vermutlich auch Hochzeit, Beerdigung oder große Jubiläen kennst – sorgfältig vorbereitete Rituale und Feiern. Doch was ist mit den kleinen Ritualen, den Notfallmomenten, in denen wir ein Ritual brauchen – wenn wir trauern, des Lebens müde sind, einen Verlust erlitten haben. Wenn ein Lebenstraum stirbt, die Wechseljahre beginnen, die Kinder ausziehen, wir gekündigt werden oder die Wohnung verlassen müssen. Was ist mit den Momenten, wo niemand stirbt und trotzdem all dieser überwältigende Abschied und Schmerz da ist?

Ich habe gelernt, über die Jahre, dass Ritualarbeit nicht groß und aufwändig sein muss, sondern vor allem praktisch und alltagsnah. Dass wir immer dann, zu jeder Zeit, ein Ritual verwenden können müssen, wenn wir eines brauchen. Dafür müssen wir wissen, wie Rituale aufgebaut sind, was es dafür braucht, damit sie gut gelingen. Einen klaren Ablauf, klare Grenzen, ein bewusstes Durchführen und Hineingehen. Vor allem eine innere Haltung, die uns ausrichtet und trägt.

Dann können sie zu einer Art Hausapotheke werden, die uns immer zur Verfügung steht. Wann immer wir sie brauchen: Ob Todesfall, Trennung, Krankheit oder Lebenstraum, der sich nicht erfüllt. Wir wissen, was wir tun können, wenn wir nicht weiterwissen.

Den Raum sichtbar machen, in dem wir uns gerade bewegen

Rituale nehmen dabei Wandlungen vorweg – in ihnen gehen wir sozusagen schon mal den Schritt, der ansteht, ehe wir ihn im wirklichen Leben gehen. Das hilft uns, uns bewusst auf den künftigen, kommenden Schritt einzulassen. Rituale können ebenso den Schritt selbst vollziehen – wir schneiden rituell zum Beispiel ein Band durch und setzen dies gleich mit dem Abschied eines Lebensabschnitts. Ebenso können Rituale sichtbar vollziehen, was längst in unserem Leben geschehen ist – wir gehen rituell den Schritt über die Schwelle und vollziehen damit die Trennung, die bereits geschehen ist, wie in meinem Beispiel oben.

Damit helfen Rituale uns, den Raum klarzuhalten, in dem wir uns gerade bewegen: Sind wir in einer Beziehung oder sind wir Single. Sind wir noch die Mutter für unsere Kinder, die jederzeit da ist und rund um die Uhr verfügbar – oder sind die Kinder bereits ausgezogen und es geht darum, in ein neues Verhältnis miteinander zu kommen. All solche Fragen klären Rituale. Sie zeigen uns die Räume, in denen wir uns bewegen, machen deutlich, wo noch etwas hängt, und zeigen, welchen Platz wir jetzt einnehmen sollen. Rituale begleiten für mich Wandlungszeiten und machen sie oftmals überhaupt erst einmal greifbar. Sie zeigen, was geschehen ist und bringen nach außen, was häufig nur in unserem Inneren geschieht.

Das ist das Wesentliche: Der Wandel wird sichtbar und, wenn andere Menschen beim Ritual dabei sind, bezeugt durch weitere Menschen. Dass kann uns helfen, wirklich zu realisieren, was geschehen ist, uns zu unterstützen bei dem, was es jetzt braucht, und unseren Weg gut weitergehen zu können.

Sabrina Gundert begleitet Menschen in Schwellen- und Wandlungszeiten. Sie ist Autorin vom Buch über Schwellenzeiten, das diesen Herbst erscheint und langjähriges Mitglied im Ritualverband Schweiz. Seit sechs Jahren bietet sie die Ausbildung zum „Rituale und Kreise leiten“ an, für Menschen, die andere Menschen mit Ritualen und Jahreskreisfesten wie in Frauen- und Männerkreisen auf dem Weg begleiten wollen. Neu ist ihre Ritual-Hausapotheke, bei der jeder in einer Weiterbildung online lernen kann, sich selbst mit Ritualen heilsam auf dem eigenen Weg zu begleiten: https://www.sabrinagundert.de/weiterbildung-rituale-an-lebensuebergaengen-schwellenzeiten-online

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7 Kommentare zu “Rituale an Lebensübergängen
  1. Gesa Grand sagt:

    Eine wunderbare, tolle und total bodenständig-alltagsnahe Idee! Genau solche Möglichkeiten und Werkzeuge brauchen wir doch alle im Alltag! Nebst den grossen, vorbereiteten Ritualen, die wir alle kennen, bedarf es der vielen, kleinen Instrumente, die uns Übertritte im Alltag erleichtern.
    Von Herzen Danke Sabrina!
    Liebe Grüsse
    Gesa

    • Danke, Gesa, für deine Antwort! Ja, ich finde vor allem diese Haltung so spannend: Etwas aus dem machen, was ich gerade habe. Ich muss nicht das Räucherstäbchen, das Meditationskissen, bestimmte Symbole da haben. Ich kann etwas aus dem machen, was da ist – in der Natur sind das vielleicht Blätter oder Äste, zuhause etwas wie ein Badehandtuch. Mir ist es wichtig, zu zeigen: Jeder von uns kann sinnvolle Rituale gestalten – ohne großes Zubehör, mit dem, was ihn oder sie gerade im Alltag umgibt. Das ist für mich gelebte Ritualkraft. Zu dieser möchte ich gerne inspirieren 🙂
      Herzlich,
      Sabrina

      • Paula sagt:

        So wohltuend deine Worte, liebe Sabrina. JA, „nehmen“ was DA ist und damit gestalten, das nährt stetig die eigene Ritualkraft und das eigene Vertrauen in diese. Danke für deine liebe-volle Inspiration. Freudegrüße, Paula

  2. ANGELIE sagt:

    DANKE 🙏
    SABRINA DAS IST SO KRAFTVOLL harmonisierend und gleichzeitig auch lösend.
    Die Erinnerungen umarmen in Freigabe und den Blick für neuen Raum, tragend und frei schwebend.
    Rituale sind Momente des tiefen Glücks und der Verbundenheit mit universellen Energien

  3. Britta sagt:

    Liebe Sabrina, was für ein wundervolles spontanes Ritual. Ich weiß um die Kraft solcher Rituale und trotzdem nutze ich das viel zu selten. Danke für’s Erinnern, dass es eben keiner großen Vorbereitung bedarf, damit es wirken kann 💜

  4. Doris Baumgärtler-Reinwart sagt:

    Liebe Sabrina,
    Ich finde das ganz toll und es ist genau das, was ich mir wünsche. Im Einfachen etwas was gerade da ist, Tiefe und Sinn durch eine rituelle Handlung geben.
    Kann ich mich vorab schon für dein neues Buch, das im Herbst rauskommt, anmelden?
    Herzliche Grüsse aus OÖ

    • Liebe Doris, Vorbestellungen zum Buch sind ca. ab Juni auf der Website bei mir möglich. Bis dahin kannst du dich gerne in den Newsletter eintragen (https://www.sabrinagundert.de/post-fuer-dich/), dort werde ich kommunizieren, wenn es soweit ist mit dem Buch. Oder ansonsten einfach hin und wieder auf der Website vorbeischauen 🙂 Das neue Buch „Schwellenzeiten – Wandelzeiten“ erscheint am 16. September 2024 im Neue Erde Verlag – es ist dann auch über jede Buchhandlung beziehbar.

      Herzliche Grüße,
      Sabrina

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