Kuddelmuddel – und wie man damit umgeht

Als wir 2016 das alte Haus abgerissen haben, wiesen wir naiv den Menschen auf dem Bagger an, alles Holz aussortiert in den Garten zu legen. Da lag dann am Ende des Tages ein riesiger Haufen mit Altholz kreuz und quer durcheinander. Und mir kamen die Tränen.
Geholfen hat mir dann unser 80-jährige Freund Helmut, ein weiser Anthroposoph. Er sah sich gelassen das Kuddelmuddel an, nahm mich in den Arm und sagte, so schlimm ist es doch gar nicht, wir fangen einfach an und dann wird der Haufen langsam aber sich weniger.
Und wir fingen an…
Bis heute erinnere ich mich immer wieder an diese Situation, wenn über mir oder um mich herum es überwältigend wird. Und ja, es hilft immer, selber einfach den ersten Schritt zu machen, sich dann Unterstützung zu holen, nicht mehr Nützliches zu verbrennen, vieles zu verschenken, Nützliches zu sortieren. Und dabei immer wieder zu lachen, Pause zu machen und sich nicht zu überfordern.
Mir kommt die Geschichte von Beppo dem Straßenkehrer aus Michael Endes „Momo“. in den Sinn:
„Siehst du, Momo“, sagte er dann zum Beispiel, „es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.“
Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: „Und dann fängt man an, sich zu beeilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.“
Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“ Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“
Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: „Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.“
Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: „Das ist wichtig.“
Und wir machen weiter
Gerade in diesen wilden Zeiten erscheint es manchmal einfach zu viel zu sein. Dann erinnere ich mich an Helmut und fange an meinen Beitrag zu geben. Der Haufen wird kleiner, das Kuddelmuddel erträglicher. Schritt für Schritt.
Und zusammen ist es immer leichter!
PS: Und so sieht es heute Morgen an dem gleichen Platz aus 🙂
Kuddelmuddel ………. oh, wie ich meine heimatliche Sprache liebe. Als geborener Hamburger Jung, seit vielen Jahren „Antroposoph“, gefällt mir gerade Deine Geschichte. Danke dafür.
Rolf
Ich bin ja auch ne Hamburger Deern – Ein jeder aber kann das nicht, denn er muss aus Hamburg sein 😉 https://www.youtube.com/watch?v=HJ8Tcj1CbSw
Na ja, ick as Bremerin bün im KuddelMuddel oak tu Huus – sogar besünners, denn mien Pappen wurd immer Kuddel roapen 🙂
(Das war ein kleiner Ausflug ins Oldenburger-Münsterland-Platt, in dem ich seit 30 Jahren eher zu Hause bin!)
Herzensgrüße an die Elbe
Imke
Danke, Bettina, das hilft mir so sehr grade. Ich habe einen Job, ein Pferd, einen Hund und eine neue Tango-Leidenschaft und weiß manchmal nicht, wem ich mich zuerst widmen soll. Dieser Fokus auf das heute, auf den nächsten Schritt, auf das Atmen, der ist so heilend, beruhigend und voller Segen 🙏
Ja Schritt für Schritt im Jetzt!
Wunderbar!! Als hättest Du den Staffelstab weitergetragen❤️❤️❤️Grosse Freude :-)))).
Und hier noch eine Perle dazu …
https://www.deutschlandfunk.de/kuddelmuddel-ist-das-schoenste-deutsche-wort-102.html
Danke Du Perlentaucherin!
Liebe Claudia,
Das Kuddelmuddel hat dich wohl „geknuddelt“ sodass du auch einen ganzen Artikel darüber verfassen konntest.
Gerade heute beim Frühstück habe ich mich darüber ausgetauscht, wie Worte etwas augenblicklich bildhaft vor dem inneren Auge erscheinen lassen.
„Gegen den Bahnhof (Park, Hotel) über“ war eine Beschreibung eines bedeutenden Schfriftstellers. Das prägt sich anders ein, als „gegenüber“
Oder „immerfort“ ist auch so ein prickelndes Wort …
Schön dich zu lesen, immerfort – Gabriele
Ein wirklich wunderbares Wort ❤️
Danke liebe Bettina! Ich kann so gut mitfühlen. Nach meinem Umzug im April nach MV ging es mir ganz genauso, ich war völlig verzweifelt ob des unendlich wirkenden Chaos nach der Renovierung. Und dann: einfach Schritt für Schritt. Jetzt haben’s wir’s schon ziemlich schön.