Minimalist aus Leidenschaft
Von Christof Herrmann. Als ich im Sommer letzten Jahres auf dem Traumpfad München-Venedig unterwegs war, lernte ich Johann und seine Frau Nanni kennen. Die beiden waren unterwegs in einem Sabbatjahr. Jetzt und haben sich in Rosenheim niedergelassen, wo sie ihre Vorstellung eines bewusst einfachen und einfach bewussten Lebens verwirklichen. Grund genug, Johann zu einem ausführlichen Gespräch einzuladen.
Christof Herrmann: Johann, Ihr, also Du und Deine Frau Nanni, habt Euer Leben in überraschend kurzer Zeit umgekrempelt. Wie hat Dein Alltag vor eineinhalb Jahren ausgeschaut?
Johann Struck: Wir haben tatsächlich unser Leben auf den Kopf gestellt. Vor eineinhalb Jahren hatte ich eine gut laufende Firma und Nanni hat gerade ihr Studium abgeschlossen, um Lehrerin zu werden. Wir lebten in einer großen Wohnung in der Dortmunder Innenstadt. Ich besaß drei VW Käfer, einen Firmenwagen und einige gut gefüllte Schränke und Kisten mit Kleidung, Erinnerungsstücken usw. Meine Firma war nur ein Ein-Mann-Unternehmen und so musste ich jeden Tag kräftig arbeiten. Mir hat die Arbeit nie viel Spaß gemacht. Ich wollte aber keine Mitarbeiter einstellen, weil ich wusste, dass wir bald unser Sabbatjahr starten würden. Und so freute ich mich am Ende über jeden vom Kunden abgesagten Auftrag. Ich bin der Arbeit 60 bis 70 Stunden pro Woche nur nachgegangen, um Geld zu verdienen. Erfreulicherweise habe ich nicht alles direkt ausgegeben, sondern viel gespart, um unsere Pause und den Neustart zu finanzieren.
Du hast dann wirklich im Sommer 2012 Dein kleines Unternehmen verkauft und Ihr habt Eure Wohnung gekündigt, um ein Jahr lang zu reisen.
Genau so haben wir das gemacht. Viele Leute meinten, das muss man machen, wenn man noch jung ist und nichts aufzugeben hat. Ich habe allerdings eine gut laufende Firma verkauft. Und auch wenn wir kein eigenes Haus hatten, mussten wir etwas aufgegeben. Es hat sich ohne Frage gelohnt. Von dem Geld, das wir auf der Reise ausgegeben haben, hätte ich mir auch einen richtig schönen Oldtimer kaufen können, aber die Erinnerungen und unsere persönliche Entwicklung sind unbezahlbar. Wir sind zu Fuß und per Anhalter durch Europa gereist. Manchmal haben wir auch einen Fernbus, einmal sogar 24 Stunden am Stück von Kroatien nach Dortmund, eine Fähre oder ein Flugzeug benutzt. Die weitesten Strecken haben wir aber per Anhalter zurückgelegt. Wir sind etwa 15.000 Kilometer im Uhrzeigersinn rund um Deutschland getrampt und haben so 17 Länder gesehen. Wen die Tour interessiert, kann gerne die Reiseberichte auf unserem Blog johananni.de lesen.
Warum seid Ihr nicht um die Welt gejettet, wie es andere junge Menschen tun?
Der entscheidende Faktor war, dass ich erstmal Europa kennenlernen wollte. Die große weite Welt kann warten. Eine solche Reise durch Europa hat noch einige andere Vorzüge gegenüber einer Fernreise: 1. Wir brauchten nie an einem Grenzübergang warten, geschweige denn ein Visum beantragen. 2. Wir mussten keine Angst vor Krankheiten haben, gegen die wir als Europäer nicht resistent sind. 3. Die Wege waren nicht so weit von Land zu Land und Stadt zu Stadt. Ganz Europa ist schließlich nur etwa so groß wie Kanada.
Wir haben uns ja auf dem Traumpfad München-Venedig kennengelernt und sind tagelang zusammen gewandert. Wie war das Abenteuer Alpenüberquerung für Euch?
Es war ein absolutes Highlight unserer Reise. Allein die Vorstellung den ganzen Weg zu Fuß gegangen zu sein, ist im Nachhinein beeindruckend. Die Atmosphäre der Wanderung und insbesondere die Menschen, die wir kennengelernt haben, waren wirklich toll. Du hast ja schon ausführlich in Deinem kostenlosen E-Book darüber berichtet, so dass ich gar nicht so viel ergänzen kann.
Ich staunte nicht schlecht, wie klein Eure Rucksäcke waren, die sozusagen einen kompletten Haushalt enthielten.
Wir hatten ein Haus mit Schlafzimmer, Kleiderschrank und Küche dabei, sowie alles, was man sonst zum Leben braucht, etwa ein paar Parfümpröbchen, um auch mal ausgehen zu können. Unsere Rucksäcke haben mit Zelt, Schlafsack, Isomatte, Kocher usw. jeweils unter 10 kg gewogen. Nur Wasser und Lebensmittel kamen gegebenenfalls dazu. So leicht kann man natürlich nur reisen, wenn man sich stark reduziert und in eine hochwertige Ausrüstung investiert. Aber diese Investition merkt man eben bei jedem Schritt, den man macht.
Seid Ihr mit diesem Minimalismus auf Reisen gut zurechtgekommen oder hat Euch etwas gefehlt?
Es hat uns tatsächlich eine Sache gefehlt: Ein Kühlschrank. Sonst nichts. Wir haben auf der Reise häufig im Supermarkt eingekauft und mussten die Kühlwaren sehr schnell essen. Aber ansonsten kamen wir hervorragend mit den wenigen Dingen zurecht, die wir dabei hatten. Das hat sich im Übrigen auf unseren jetzigen Lebensstil ausgewirkt.
Nach Eurem Sabbatical seid Ihr vor ein paar Monaten nach Rosenheim gezogen. Wie lebt Ihr jetzt?
Wir sind in eine WG gezogen und haben dort zwei Zimmer gemietet. Das hat den Vorteil, dass wir nicht so viel putzen müssen wie früher. Wir haben auch unser gesamtes Hab und Gut reduziert, was aber auch nicht schlimm ist, weil man weniger Dinge hat, um die man sich kümmern muss. Das Allerbeste ist aber, dass wir nun zu einem bezahlbaren Preis eine Wohnung mit Garten und Terrasse haben, was wir uns sonst nicht geleistet hätten. Auch meine geliebten VW Käfer habe ich verkauft, bis auf den Einen, in dem ich mit Nanni zusammen gekommen bin. Der steht leider etwas verrostet in einer Scheune in Nordrhein-Westfalen. Wir sind also jetzt vollkommen autofrei. Das schränkt uns eigentlich nicht ein, weil wir hier in Rosenheim alles mit dem Radl erledigen können. Weitere Strecken fahren wir mit dem Zug.
Gibt es auch Nachteile, minimalistisch zu leben?
Man findet immer Gründe, warum es eine Einschränkung ist, weniger zu besitzen oder in einer WG zu wohnen. Aber uns macht es nichts aus, die Küche und das Bad mit unseren Mitbewohnern zu teilen. Auch das autofreie Leben würden sicherlich viele Menschen als Nachteil ansehen, wir aber nicht.
Auch ein Minimalist kann nicht von Luft und Liebe leben. Was macht Ihr jetzt beruflich?
Nanni macht ihr Referendariat an einer Schule in München. Mir war schon vor der Reise klar, dass ich mich wieder selbstständig machen würde. Unterwegs konnte ich mich viel mit mir selbst beschäftigen und Ideen und Eindrücke sammeln. Dann habe ich mich zu dem entschieden, was mich aller Voraussicht nach am glücklichsten machen wird. Ich habe den Fahrradkurier PostlJohann gegründet. Getreu dem Motto: “Mach das, was du machen würdest, wenn du reich wärst!”
Und macht die Tätigkeit Dich nun glücklich?
Ja, meine Arbeit macht mir Spaß. Das ist wohl die entscheidendste Änderung zu meiner alten Selbstständigkeit. Auch arbeite ich nun nicht mehr so viel wie früher, mache dafür mehr Sport in meiner Freizeit. Und ich lerne gerade eine Menge neuer Dinge, wie zum Beispiel Kraulschwimmen. Das ist zwar nicht so schön wie wandern oder fahrradfahren, aber eine tolle Abwechslung.
Wie verliefen die ersten Wochen von PostlJohann?
Gut. Ich habe schon einen sehr hohen Bekanntheitsgrad in der Stadt und treffe immer wieder Menschen, die mich grüßen oder unbekannterweise ansprechen. Ein Passant war fest davon überzeugt, im Fernsehen einen Bericht über mich gesehen zu haben. Es stellte sich heraus, dass er von mir in der Zeitung gelesen hat. Ich habe auch schon ein paar Kunden, für die ich immer mal wieder fahre. So habe ich in Zusammenarbeit mit einem vegan-vegetarischen Restaurant einen Lieferservice ausgetestet. Bin schon gespannt, wie das angenommen wird.