Let’s talk about sex? Let’s talk about LOVE!

Lesezeit 13 Minuten –

Conny Dollbaum interviewt Ela und Volker Buchwald, Leiter des Making-Love-Retreats nach Diana Richardson Ela und Volker Buchwald sind ganz normale Leute: berufstätig, Eltern von drei mittlerweile erwachsenen Kindern, sie haben Meinungsverschiedenheiten wie jedes andere Paar auch, leben also einen ganz normalen Alltag mit Berufsanforderungen, Haushaltsführung, Zahnarztbesuchen, Alltagsverpflichtungen aller Art und… Sex. In Letzterem, also der Art und Weise, wie sie Sexualität miteinander leben, unterscheiden sie sich allerdings sehr von anderen Paaren: Sie leben und genießen nach fast 30 Jahren Partnerschaft eine Form der Sexualität, die sie beide körperlich wie emotional, und damit nicht nur sexuell, durch und durch erfüllt.

Zum Interview im November 2015 sind beide bereit, über ihren Weg als Paar zu sprechen und wie es dazu kam, dass sie nun selbst als Lehrer eines Making-Love-Retreats arbeiten. Auf meine Frage, was ihnen jeweils besonders wichtig ist, über dieses Interview zu vermitteln, antworten sie u.a. wie folgt:

Ela: Ich möchte gern vermitteln, dass Slow Sex durch und durch alltagstauglich ist; es braucht nicht endlos Zeit, keine familienfreien Wochenenden, kein Meditationskissen und wirklich nichts anderes als die Bereitschaft, sich auf den Prozess der bewussten Begegnung einzulassen. Slow Sex ist nichts Exotisches, sondern Alltagsleben.

Volker: Ich fände toll, wenn deutlich würde, was uns als Volker und Ela, einzeln und als Paar, in diesem Zusammenhang wichtig ist, was uns so begeistert. Damit ein Bild entsteht, wieso wir das Retreat jetzt selbst anbieten und was uns daran so begeistert.

Erläuterung: Das Making-Love-Retreat, entwickelt von Diana Richardson ist ein Seminar für Paare über insgesamt 7 Tage. Eine feste Tagesstruktur beinhaltet regelmäßig Übungen zu Selbstwahrnehmung, Körpererfahrung, Paarkommunikation und Vorträgen an den Vormittagen. Nachmittags ist Raum für Paarbegegnung und praktisches Liebe-Machen, oder besser gesagt: Die Paare haben Zeit für- und miteinander, bewusst zu erleben, wie ihre Gewohnheitsmuster und Konzepte die Begegnung prägen und können ausprobieren, wie die Übungen des Slow Sex darin Platz finden können.

Diese Struktur, also Vormittage mit achtsamen Körper- und Spürübungen allein und als Paar, sowie Vortrag und Austausch von Fragen in der Gruppe, sowie der Nachmittag als Begegnungszeit, ist nicht zufällig, sondern sinnvoll gewählt. Über die achtsame Wahrnehmungsarbeit am Morgen wird der Boden bereitet wird für die Paarbegegnung am Nachmittag.

Volker: Die Nachmittage sind ein ganz wichtiger Bestandteil des Seminars. Wir können natürlich sehr viel erzählen und Informationen geben, aber wenn das Gehörte dann nicht in irgendeiner Form praktisch erforscht und erfahren wird, bleibt alles nur reine Theorie. Wichtig: Es handelt sich im Making Love Retreat nicht um einen Gruppenprozess. Die Gruppe bildet den Rahmen, die Übungen sind grundsätzlich als Paar-Übungen konzipiert und dienen der vertieften und intimen Paarbegegnung mit dem eigenen Partner. Es gibt keinen Partnertausch, keine Gruppenübung, keine irgendwie gearteten sexuellen Aktivitäten innerhalb der Gruppe. In einer Sharing-Runde am Vormittag können (nicht müssen) die Einzelnen über innere Prozesse sprechen und natürlich Fragen dazu stellen – es findet kein Austausch über die gelebte Sexualität statt oder ähnliches statt.

CD: Wie kam es zum Äußersten? Nämlich dazu, als Paar an einem Seminar zum Thema Slow Sex teilzunehmen?

Volker: Mich trieb die Not – ich wusste, wenn wir nicht eine Lösung für unsere Beziehungsprobleme und damit auch für die damit verbundene unbefriedigende Sexualität finden würden, hätten wir als Paar keine Chance. Ich war total frustriert und hatte überhaupt keine Idee, was helfen könnte. Als Ela das Making Love Retreat, bzw. die Slow-Sex-Methode nach Diana Richardson entdeckte und mich überreden wollte, teilzunehmen, war ich zunächst voller Widerstand und Skepsis. Die überschwänglichen Teilnehmerzitate auf der Homepage fand ich total übertrieben, hatte das Gefühl, die hätte sich jemand als Werbeslogans ausgedacht, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass ein Sex-Seminar mir wirklich würde helfen können. Und gleichzeitig wünschte ich mir nichts sehnlicher als unsere Beziehung zu retten – also fuhr ich mit.

Ela: Ich hatte das Gefühl: Das ist unsere letzte Chance miteinander! Ich war nicht nur unglücklich mit der Art unserer Sexualität, sondern mit unserer Beziehung insgesamt – wir hatten dauernd Streit und eigentlich hielten uns mehr die Kinder zusammen als unsere Liebe. Die war ziemlich auf der Strecke geblieben, fand ich.

CD: Mögt ihr erzählen, wie eurer „erstes Mal“ war, also mit welchen Gefühlen und Erwartungen ihr zum ersten Seminar fuhrt?

Volker: Ich hatte ziemlich Schiss! Ich hatte keinerlei Erfahrung mit Gruppen, hatte Angst davor, mich mit meinen Problemen zu konfrontieren und auch Angst vor allem, was da auf mich zukommen könnte. Ich hatte ja keine Idee… aber ich wusste: Ich will etwas anderes als bisher.

Ela: Ich war voller Erwartung. Mich sprach das Konzept von Diana Richardson sofort an, weil es um PAAR-Sexualität ging, nicht um Partnertausch, nicht um einen Gruppenprozess, sondern ausschließlich darum, sich als Paar körperlich wie gefühlsmäßig zu begegnen.

CD: Und traf das ein, was ihr erwartet hattet? Lösten sich alle Probleme wie durch Zauberhand?

Beide lachen!

Volker: Nein, wir wollten am Nachmittag des ersten Tages sogar abreisen. Wir hatten nur Streit und beide das Gefühl: Das macht keinen Sin, das hilft uns nicht, das macht alles nur noch schlimmer.

Ela: Ich habe auch total Druck gemacht und Volker vorgeworfen, dass er gar nicht wirklich will, nicht offen ist für den Prozess. Ich dachte: Wir passen eben nicht mehr zusammen und das hilft uns jetzt auch nicht.

CD: Was hat euch gerettet? Denn ihr seid nicht abgereist, oder?

Volker: Nein. Wir hatten dann ein Gespräch mit Diana und Michael, und die haben ganz gelassen reagiert (wir waren nicht die ersten mit diesem Problem!). Sie haben uns empfohlen zu entspannen, einfach dazubleiben, nichts zu zwingen. Wir hatten ja zum Beispiel mit viel Aufwand eine Kinderbetreuung Zuhause organisiert – also luden sie uns ein, die verbleibenden Tage als Erholungsurlaub, ganz ohne Anspruch an was auch immer, zu genießen.

Ela:
Für mich war es ein total positiver Schock, von den beiden die Erlaubnis zu bekommen, einfach nur da zu sein und nichts erreichen zu müssen. Ich konnte mir ja auch gar nicht vorstellen, dass wir nachmittags Liebe machen würden, weil wir nur im Streit waren und ich entsprechend null Lust auf Sex hatte. Überhaupt: Diese Tage waren in jeder Hinsicht schockierend für mich, im positiven wie im negativen Sinne.
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Erläuterung zum Retreat:
Viele Paare haben ja nach der ersten Verliebtheit ein Problem mit ihrer Sexualität, aber es gibt kein übergeordnetes, sondern nur ein persönlich begründetes Problembewusstsein dafür. Alle glauben zu wissen, wie guter Sex zu sein hat und wenn das im eigenen Bett nicht so klappt, kann das ja nur an einem selbst liegen. Männer, die zu früh ejakulieren und wenig mehr spüren als ihren Penis, Frauen, die keinen Orgasmus haben oder selten Lust: Im gesellschaftlichen Konsens ist das alles ganz normal und deshalb nicht änderbar, quasi naturgegeben.

Ela: Ich war an diesem ersten Tag total schockiert, weil ich das ganze Dilemma unserer verqueren Sexualität und unsere Tragik darin erstmalig erkennen konnte. Wie wenig wir uns begegneten, wie stark die gesellschaftlichen Bilder in unsere Beziehung hineinwirkten – ich dachte immer wieder: „Das gibt’s doch gar nicht!“ Und wusste aber auch sofort: Sie (die Richardsons) haben eine echte Wahrheit erkannt und formuliert und Recht mit ihrer Analyse.

Volker: Auf mich hatte die Erlaubnis, nichts zu müssen, sondern einfach nur dabei zu sein, direkt eine unglaublich entspannende Wirkung. Ich spürte: Da kann es langgehen – da gibt es etwas zu entdecken. Das gefällt mir.

CD: Und: Wart ihr nach dem ersten Retreat für alle Zeiten geheilt und rundherum zufrieden mit euch, dem Sex und allem, was dazu gehörte?

Volker: Oh nein – beim ersten Mal hatte ich zwar die wesentliche und mich tief berührende Erkenntnis, dass es eine Art von Sex gibt, nach der ich mich immer gesehnt hatte: Sex mit viel Zeit, nicht nur dieses kurze, oft zu frühe, Kommen. Mit drei Kindern ist es nicht immer einfach, der Liebe Zeit einzuräumen, aber wir haben das hingekriegt, weil wir uns seit dem Retreat wieder ganz nah gekommen sind und vor allem: Weil wir die nährende Kraft der körperlichen Liebe erfahren konnten und insgesamt viel vitaler und einfach glücklicher waren.

Neben der Erleichterung, nicht unter Druck zu sein, gab es aber auch die Herausforderung wahrzunehmen, dass ich mich gar nicht wahrnehmen konnte. Ich spürte in meinem Körper rein gar nichts. Das war schockierend – aber im Seminar wurden wir immer wieder ermutigt, uns Zeit zu lassen, uns von Erwartungen so weit wie möglich zu verabschieden. Das war zu Beginn unerhört schwierig und im weiteren Verlauf dann sehr entlastend. Dem habe ich vertraut und merkte auch bald, dass sich meine Selbstwahrnehmung zu entwickeln begann.

Ela: Ach, da hatte sich ja in den Jahren unheimlich viel aufgebaut, was zwischen uns stand an Bildern, Erwartungen und Enttäuschungen. Aber in der bewussten körperlichen Begegnung mit uns selbst und dem anderen tauchte wunderbarerweise unsere Liebe wieder auf, die ja nicht weg, aber im Laufe der Jahre sehr verschüttet gewesen war.

Ganz besonders wichtig und hilfreich war für mich die Erkenntnis, dass nichts falsch mit mir ist, sondern dass meine Wahrnehmungen und Gefühle alle sein dürfen – eben weil sie sind wie sie sind. Und dass wir darüber in Kontakt kommen, ich nichts vorspielen oder erreichen muss und schon deshalb eigentlich nichts schiefgehen kann. Ich fand es erschreckend festzustellen, wie das kollektive Bild von Sexualität in alle Bereiche unseres Lebens hineinwirkt, ohne dass uns dies bewusst ist.

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CD: Muss Mensch Slow Sex sozusagen üben? Oder reicht es, einmal zu lernen, wie es geht?

Beide lachen und antworten so:

Ela: Das ist wie bei jeder anderen Bewusstseinsarbeit auch: Im Alltag gehen viele Erkenntnisse verloren, vor allem, wenn wir sie zunächst noch nicht gut integriert haben. Es geht ja nicht um Techniken, sondern darum, wach zu sein. Wir haben das Seminar mehrfach besucht, um den Impuls immer wieder aufzufrischen und natürlich auch, um mit Menschen in Kontakt zu sein, die einen ähnlichen Weg gehen miteinander, was ja durchaus noch nicht üblich ist.

Volker: Es ist so wichtig, sich immer wieder gegenseitig zu ermutigen, denn die Zweifel zum Beispiel darüber, ob Sex, der nicht schnell und heftig ist oder der beispielsweise nicht mit der Ejakulation aufhört, also ob so ein Sex richtig ist. Oder ob ich mir was vormache und eigentlich doch alles ganz anders ist. Dabei sprach mein Gefühl eine klare Sprache: Ich war durch und durch zufrieden und glücklich mit mir, mit uns, unserem Sex, unserer Beziehung – traute aber meiner Wahrnehmung vor allem zu Beginn weniger als der gesellschaftlichen Norm.

Ela: Das Retreat ist ein erster Schritt, bewusster zu leben – nicht nur sexuell. Die Richardsons vergleichen das gern mit dem Aufspielen einer neuen Software – auch da muss ein altes, liebgewonnenes aber nicht mehr stimmiges Programm gelöscht werden und es dauert eine Zeit, bis sich alles neu eingespielt hat. Vertrautes ist verschwunden, liebgewonnene Marotten passen nicht mehr, kurz: Der Übergang ist oft holprig, bis die Verbesserung wirklich greifen kann und spürbar wird.

CD: Wieso seid ihr eigentlich der Meinung, dass Sexualität einen so großen Einfluss auf die gesamte Persönlichkeit und damit auch auf die Partnerschaft hat? Ist das nicht übertrieben?

Volker: Für mich ist es tatsächlich so, dass ich durch diese Erfahrung so viel glücklicher und zufriedener wurde. Ich bin mir selbst, meinen echten Bedürfnissen, meiner Sehnsucht näher gekommen, und habe gelernt, mich damit zu zeigen. Über das körperliche Erleben habe ich Zugang zu meinen wahren Gefühlen bekommen – und das ist bereichernd, spannend und immer wieder neu in der Begegnung mit mir und uns.

Ela: Es geht insgesamt um das Thema Verbundenheit – mit mir selbst verbunden zu sein, ermöglicht echte Begegnung mit Volker und diese mündet in ein Verbundenheitsgefühl, nach dem wir uns alle sehnen.

Der Körper und die sexuelle Begegnung ist dabei die Brücke, weil wir uns im Körper immer JETZT wahrnehmen (es sei denn, wir sind mit unseren Gedanken ganz woanders, was beim Slow Sex dann aber immer seltener der Fall ist). Es gibt nur den aktuellen Augenblick einer Körperwahrnehmung – kein Konzept, kein Ziel, kein Anspruch – immer wieder einfach nur das, was jetzt gerade ist. Diese Haltung überträgt sich nach und nach auf alle Lebensbereiche – und dadurch kann sich aus bewusst gelebter Sexualität ein glückliches (Paar-)Leben entwickeln.

Volker: Was übrigens nicht heißt, dass wir in einem Friede-Freude-Eierkuchen-Kuckusheim leben und gar keine Meinungsverschiedenheit mehr hätten – aber die Grundverbundenheit durch unsere gelebte Liebe ist immer da und führt zu achtsamem und respektvollen Umgang miteinander. Besonders auch, weil im Seminar vermittelt wird, wie wichtig es ist, in achtsamer Kommunikation miteinander zu bleiben und weil wir gelernt haben, Emotionen von Gefühlen zu unterscheiden.

CD: Letzte Frage: Wieso seid ihr Making-Love-Retreat-Lehrer geworden?

Volker: Auch hier wollte ich zunächst nicht, konnte mir nicht vorstellen, als Lehrer und Gruppenleiter zu arbeiten. Aber im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass ich meine Erfahrungen unbedingt weitergeben will und mittlerweile habe ich auch genug Ausbildung und Erfahrung in der Begleitung solcher Prozesse. Slow Sex macht mich zu einem glücklichen Menschen – und das wünsche ich allen Männern, Frauen und Paaren eben auch und will meinen Teil dazu beitragen, indem ich das Retreat mit Ela gemeinsam leite. Wir freuen uns sehr auf diese Herausforderung, die anzunehmen nur möglich wurde, weil wir so gut miteinander im Kontakt sind.

Ela: Das Thema ist einfach mein Ding. Von Anfang an. Ich habe von Beginn an Feuer gefangen, arbeite ja schon lange als Assistentin in den Seminaren von Diana Richardson und wollte schon vor einigen Jahren loslegen. Da Volker nicht wollte, hatte ich nach Dozenten-Partner gesucht, aber das passte alles nicht so richtig. Und als Volker sich dann auch gerufen fühlte, seine Erfahrungen weiterzugeben, war ich natürlich glücklich. Besser geht es ja nicht, wenn wir als Paar mit allen Erfahrungen im Guten wie im Schwierigen Begleiter sind.

Abschließende Gedanken
Eigentlich waren 1,5 Stunden für dieses Interview angesetzt – es wurden 2,5 und wenn keine Termine einzuhalten gewesen wären, hätte ich den beiden immer weiter neugierige Fragen stellen wollen und ihnen vor allem immer weiter gern zugehört. Die Buchwalds sind als Gesprächspartner anregend und klug, als Paar selbstverständlich miteinander, im Kontakt mit mir freundlich, aufmerksam und sehr offen. Die Intimität des Gespräches bezogen auf die eigenen Entwicklungsprozesse war enorm, dabei ging es vordergründig um Slow Sex, tatsächlich aber eher darum, wie Slow Sex als achtsame Körper- und Bewusstseinsarbeit Menschen glücklicher und zufriedener machen kann. Zwei, die das verkörpern, saßen mir da jedenfalls gegenüber.

Mehr zur Arbeit von Ela und Volker Buchwald hier.

Zu Autorin: Conny Dollbaum mehr hier.

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