Der Wermut und sein Destillat – Leben in Fluß bringen

Wermut Foto: Evelin Rosenfeld

Die Artemisia ist eine Spezialistin für Grenzen. Sie liebt es, das Reine vom Unreinen zu trennen, Grenzen zu ziehen – und dann über sie hinaus zu wachsen. So steht auch auf Aditi der Wermut (Artemisia absinthum) an den Grenzen des Hauptgartens und leuchtet mit seinen silbrigen Blättern und seinem ganz markanten Duft wie ein Wächter das Ende und den Beginn des Gartens aus.

Und auch wenn wir im Deutschen „der“ Wermut sagen, so ist diese Pflanze doch eindeutig weiblicher Natur – taucht ein in die Tiefe, rüttelt dort, befeuert und bringt in Bewegung, was sich festgesetzt hat. Für mich ist sie die Majestät, die Wächterin und die, die ent-scheidet und die Grenze zwischen Äther (Bestimmung) und Feuer (Handlung) durchbricht.

Eine Heilerinnen-Familie

Überall auf der Welt begegnen wir der Pflanzenfamilie der Artemisia (Beifußgewächse). Überall auf der Welt nehmen die Mitglieder dieser majestätischen Familie eine zentrale Rolle im Kreis der Medizinpflanzen ein: In Japan und China sind Kügelchen aus Artemisia princeps (japanisch: yomogi) das „Werkzeug“ für die hochwirksame Moxibustion. Die nordamerikanischen Schamanen weihen ihre übrigen Medizinpflanzen mit Artemisia frigida – sie darf selbst aufgrund ihrer Kraft nicht im selben Zelt wie die anderen Heilpflanzen gelagert werden. In der keltisch germanischen Kultur vertreibt der Beifuß (Artemisia vulgaris) Dämonen und wurde in Schutzkränze und Beutel eingebunden. Und in der Guanchen-Kultur auf den Kanaren erfüllt der Duft des „Incensio“ (Artemisia thuscula) die zerklüfteten Barrancos, macht uns wach, treibt uns vorwärts – über die Klippen zum nächsten Gipfel. Ich erinnere mich gerne an die Jahre, in denen ich dieses kostbare Kraut in der sengenden Atlantiksonne sammelte und bei Räucherritualen einsetzte, bei denen es darum ging, Überkommenes endgültig abzuschneiden und einen mutigen Schritt nach vorne zu tun.

Und nun baue ich ihre Schwester, die Artemisia absinthum, hier auf Aditi selbst an.

Diese besonders aromatische Art der Artemisia zeichnet sich aus durch eine hohe Konzentration an Bitterstoffen (bis 0,4%) aus der Gruppe der Sesquiterpenlactone, darunter Absinthin mit 0,2 bis 0,28 % als Hauptkomponente. Absinthin ist beteiligt an der appetitsteigernden, verdauungsfördernden, blähungs- und gallenflußtreibenden Wirkung des Wermutkrauts und der wesentliche Bestandteil des berühmt-berüchtigten Absinths.

„Bitter“ – diese Geschmacksrichtung steht in der Traditionellen chinesischen Medizin für das Feuerelement. Pflanzen mit der Eigenschaft des Feuerelements wirken transformierend, bringen in Bewegung, heben Festes auf und sind mit den Organen Herz und Dünndarm verbunden.

Hildegard von Bingen lobt das Kraut:

„Die Wermutkur unterdrückt die Lanksucht (sie meint die Nierenverkalkung), unterdrückt die Melancholie, macht deine Augen klar und stärkt das Herz.“

Artemis – Göttin der Frauen und der Kinder

Foto: Evelin Rosenfeld

Die griechische Göttin Artemis – deren Attribute nicht nur die Jagd und die Freiheit sind, sondern die ihren Schutz besonders über das Wohl der Frauen und der Kinder legt – hat diesem Kraut sicher nicht zufällig ihren Namen gegeben. Ihre bekanntesten Attribute sind die silbernen Pfeile und der silberne Bogen, mit denen sie sehr treffsicher ist. Wir dürfen diese Göttin durchaus als Äquivalent zur indischen Kali verstehen, die gnadenlos ausräumt, was nicht wahr ist und zugleich mit großer Tapferkeit das Weibliche, das Wahre, das Fließende beschützt.

Als ich im vergangenen Jahr die Strukturen meines Gartens verfeinerte, noch einmal die Himmelsrichtungen mit der Pflanzenenergie abstimmte, die Mikroräume der Beetaufteilung nachempfand und den Energiefluß im Garten überprüfte, fand ich drei Stellen, an denen die Energie stagnierte oder einfach „verschwand“. Es fehlte an diesen speziellen Punkten der „Süden“ – das Bewegende, daß Grenzziehende, das Durchdringende und Wärmende. Dorthin setzte ich meine vorgezogenen Wermutpflänzchen – und vergaß sie über die intensive Erntezeit.

Bereits im Herbst leuchteten die majestätischen „Balsamsträucher“ bereits von Weitem – die Lücken waren geschlossen, die Integrität des Gartens bereinigt und stabilisiert.

Als ich sie erstmalig für die Destillation erntete, war mir ganz schwummerig von dem intensiv aromatischen Duft, den die Pflanze vor allem dem Thujon verdankt. Thujon wirkt auf die Neurotransmitter – ähnlich dem Cannabis – und hat vordergründig eine euphorisierende Wirkung. Im Unterschied zu Cannabis ist der Wermut aber eine Sonnenpflanze – führt uns also nicht in die mondhaften Schattenbereiche sondern in die lichtvollen Gefilde der Sonne, der Klarheit und Unterscheidungskraft.

Gleichwohl muß der Wermut wegen dieses Wirkstoffs sorgfältig dosiert werden. Und natürlich hat „der Gesetzgeber“ diese Wirkung im Rahmen des Arzneimittelgesetzes mit einem Privileg für die Pharmazie vorgesehen – so lange er nicht im Rahmen von Lebensmitteln einen Gehalt von 0,5 – 35mg/kg unterschreitet.

…. Zum Glück sind die Spirits Lebensmittel und der Thujongehalt in den Reindestillaten unterhalb dieser gesetzlichen Grenze … 😀

Vom Grobstofflichen zum Seelenkern – Schwarzes Öl

Reichlich „inspiriert“ ging ich mit meinen Erntekröben also zur Destille. Ich zerkleinerte 9 Kilo des Krauts, sah die „silbernen Pfeile der Artemis“ in die Kupferkolonne fallen. Hinter mir rauschte bereits der Kessel auf dem Feuer, der Himmel war bedeckt, es ging ein spürbarer Wind. Keine guten Bedingungen für die Destillation unter freiem Himmel – doch so viel Bewegung im System sind dem Wermut gemäß.

Die zart gefingerten, duftenden Blättchen von ihrer zarten Substanz hielten den Dampf eine gute Stunde zurück – bis sie ihn endlich passieren ließen. Und da trat er hervor, der erste Tropfen von Artemisias Seele.

Längst war der Destillationsplatz gefüllt von dem berauschenden Aroma, das klare Destillat zeigte mehr und mehr einen dicken, schwarzen Ring, der sich auf der Oberfläche der wässrigen Phase sammelte: Das schwarze Öl des Wermut.

Und obwohl ich sorgfältig Fläschchen um Fläschchen befüllte und den Thujongehalt auf dem zulässigen Maß balancierte, setzte sich auch in den Fläschchen schnell der schwarze Ring des ätherischen Öls ab, definierte und begrenzte den Raum – auch in der feinstofflichen Phase. Beim Auswaschen des Scheidetrichters betrachtete ich den Niederschlag auf dem Laborglas: Keineswegs ist das Öl schwarz, wie es während der Destillation anmutete. Vielmehr schillert es in den Farben der Pfauenfedern – von goldbraun über tiefes dunkelgrün hin zu azurblau.

Artemisia hatte den dunklen, schwarzen Wust getrennt, in seine ursprünglichen Einzelkomponenten zerlegt, das Explizite sichtbar gemacht – und eine magische Struktur auf das Laborglas gemalt. Und ich bemerkte, wie meine Gedanken zu einem „Schluß“ kamen, wie der Wust an Empfindungen und Erwägungen, der sich seit Wochen in mir drehte, sich auf einen Punkt verdichtete. Die Gebärende hatte losgelassen, hervorgebracht. Das „Kind“, war klar und rein – Worte konnten mit Leichtigkeit gefunden, Entscheidungen getroffen, Handlungen geordnet werden.

Der berühmte Schweizer Kräuterpfarrer Künzle (1857-1945) schrieb: „Ist einer grün wie ein Laubfrosch, mager wie eine Pappel, nimmt täglich ab an Gewicht und Humor und wirft keinen Schatten mehr, der probiere es mit Wermut“.

Aber Vorsicht: Der Wermut ist auch ein Rauschmittel – also schön sachte.

Die ersten Flaschen des Wermut Destillats sind bereits fertig und können hier bestellt werden.

Seit 2016 lebt Evelin Rosenfeld im Herzen Deutschlands auf einem kleinen Berg namens „Aditi“. 35.000 Quadratmeter wildes Land werden sind zu einem paradiesischen Permakulturgarten mit ganz besonderen Schätzen geworden. Ihre Pflanzen stammen zu 100% aus bio-zertifiziertem, bayerischen Eigenanbau in reiner Handarbeit. Natürlich sind alle Produkte biozertifiziert, Kontrollstelle DE-ÖKO 037. Hier zum Shop.

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