Kim McMillen – Als ich mich selbst zu lieben begann

Die Entdeckung einer Autorin von Miriam Licht. Vor langen Jahren schenkte mir eine Freundin eine Art Gedicht mit dem Titel „Als ich mich selbst zu lieben begann“. Der schöne Text gefiel mir sehr, berührte mich tief und kraftvoll. Ermutigte mich vor allem. Ich lebte mit diesen Worten, hängte sie als farbig gerahmtes Bild in meiner Wohnküche auf und blieb gelegentlich davor stehen, um ihn mir selbst vorzulesen – innerlich und manchmal auch laut. Er war mir in meiner Entwicklung in manchmal schwierigen Zeiten eine Quelle der Ermutigung.

Gleichzeitig beschäftigte mich vom ersten Augenblick an eine Art Irritation. Irgendetwas schien mir nicht zu stimmen mit der Autorenschaft. Ich hatte Charlie Chaplins Autobiografie gelesen. Und dieses Gedicht passte einfach nicht zu seiner Art, das Leben und die Welt zu betrachten. Es entsprach auch nicht seinem Stil, sich so auszudrücken.

Als ich damals im Netz recherchierte, konnte ich nichts anderes finden als allüberall das stetige Zitieren dieses Textes unter der angeblichen Autorenschaft Chaplins. Häufig ergänzt durch die Angabe, dieser habe den Text zu seinem 70sten Geburtstag geschrieben, bzw. vorgetragen.

Da ich früher schon einmal einer Urheberschaft auf die Spur gekommen war, in der ein Text fälschlich einem Vortragenden zugeschrieben wurde (und oft noch wird, es handelt sich um Marianne Williamsons „Unsere größte Angst“, laut einer modernen Urban Legend angeblich** vorgetragen von Nelson Mandela in seiner Antrittsrede als Staatspräsident) schien es mir vorstellbar, dass Chaplin einen fremden Text an seinem Festtag zu Gehör gebracht hatte – und dieser dann in der Folge versehentlich ihm zugeschrieben worden war. Doch auch diese Idee führte bei meinen Rechercheversuchen zu keinerlei Hinweisen in meiner Frage.

Des Rätsels Lösung

Heute nun, Jahre später, entdecke ich durch einen schönen Zufall eine Erklärung, die für mich das Rätsel löst, das für mich so lange bestanden hatte. Was ich fand – und für stimmig halten kann – ist dies:

Die Originalverse entstanden kurz vor dem Tod der amerikanischen Autorin Kim McMillen 1996. Das Büchlein mit dem Titel „When I Loved Myself Enough“ wurde 2001 von deren Tochter Alison in englischer Sprache veröffentlicht.

Zwei Jahre später, 2003, dann von einem brasilianischen Verlag (Sextante) ins Portugiesische übersetzt und in Brasilien veröffentlicht. Ende 2003 wurde ein Auszug der Verse (das was man heute als Charlie Chaplin-Geburtstagsrede kennt) von einem brasilianischen Charlie Chaplin-Fan (erweitert) Chaplin zugeschrieben und in Umlauf gebracht.

Diese neue Version wurde um 2008/09 ins Deutsche („Selbstliebe“) und Englische („As i began to love myself“) zurückübersetzt und geistert seither als „Pseudepigraphie“ durch das Internet.*

Was ich an dieser Geschichte so mag: ich hab – für mich – das Rätsel lösen können. Denn wie gesagt, etwas war da für mein Gefühl nicht stimmig gewesen.

Was ich auch mag: bei all den verbuchselten Weckstaben, besser gesagt, der offenbar frei erfundenen Behauptung, Chaplin sei der Urheber, hat es die Schönheit von Kim McMillens Worten durch diese freche Tat doch in einem ungeheuren Tempo um den Globus bewegt. Und so viele von uns herzlich berührt und ermutigt.

Meine große Freude gilt nun der frisch eröffneten Möglichkeit, den Text von Kim McMillen ungekürzt und in seiner ursprünglichen Strahlkraft in ihrem Buch für mich zu entdecken und die Schönheit ihres Erkennens und Beschreibens zu genießen.

Meine tiefe Dankbarkeit gilt ihr und ihrer jung verwaisten Tochter Alison McMillen, die das Buch ihrer Mutter nach deren plötzliche Tod posthum veröffentlicht hat: „Meine Mutter starb mit 52 Jahren im September 1996, nur wenige Monate nachdem sie dieses Buch geschrieben hatte. Sie war nicht krank und wusste nicht, dass sie sterben würde. Ihr plötzlicher Tod schockierte alle, die sie kannten zutiefst. Es war sehr schwer für mich, wie für ihre Freunde und Verwandten, mit dem Leben ohne sie klarzukommen. Sie starb viel zu jung und sie fehlt mir in jedem wachen Augenblick.“

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Es waren insgesamt 82 Verse, die man fast komplett im Internet findet.

http://www.myinnerspaceblog.com/2012/01/17/when-i-loved-myself-enough-by-kim-mcmillen/

When I Loved Myself Enough – by Kim McMillen

Diese Version im Clip (gekürzt und erweitert) – kommt der Wahrheit ein wenig näher (da stimmt der Name der Autorin):

… der Name der Autorin in Verbindung mit dem portugisischen Titel des Buches “Quando me amei de verdade” und man findet relativ schnell die Übeltäter (falls jemand nach ihm oder ihr suchen möchte).

http://pensador.uol.com.br/frase/MjI5NjA/ … das portugisische Original.
http://pensador.uol.com.br/autor/kim_e_alison_mcmillen/ … die erweiterte Fassung (Urheber unbekannt) mit der Original-Urheberin, kurz bevor man diese verfälschte Fassung mit Charlie Chaplins Name ersetzt hat.

… by Kim & Alison McMillen … hat definitv nichts mit Charlie Chaplins 70. Geburtstag zu tun.

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* Sämtliche kursiv gesetzten Textpassagen sind Zitate und Informationen von Stefan Handschlag. Erstfund hier: https://www.deutschelyrik.de/as-i-began-to-love-myself.html

** Durch Bettina Sahling erfahre ich nachträglich: Nicht nur ist Nelson Mandela nicht der Autor, Marianne Williamsons Text wurde von ihm auch NICHT zitiert. Für Interessierte hier die deutsche Fassung der Originalrede von N. Mandela im Wortlaut: http://tinyurl.com/8xqmmac

Kim McMillen über Selbstliebe

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10 Kommentare zu “Kim McMillen – Als ich mich selbst zu lieben begann
  1. Monja sagt:

    Ganz lieben Dank für diesen wertvollen Beitrag! Ich hatte diese Gefühl, es nicht zu Charlie Chaplins Persönlichkeit zuordnen zu können, ebenso!

  2. Marie sagt:

    MDas ist ja superspannend – sozusagen ein Krimi… über die Liebe! Großartig, vielen Dank, dass du das mit uns teilst, Miriam! Das Gedicht ist wunderschön, und es ist toll zu wissen, wer es wirklich geschrieben hat. ♥

  3. So schön!!! Ich liebe diesen Text und freue mich sehr über deine wundervolle Entdeckung, liebe Miriam!
    Von Herzen, DANKE! 🙏❤️🙏

  4. Danke liebe Miriam für Deine Forschungsarbeit. Ich finde es so wichtig, dass die wahren „AutorInnen“ ihre Würdigung erfahren. Es gibt noch ein Beispiel dazu. Der Text unter Jeder Mensch ist ein Künstler (dieser Satuz stammt tatsächlich von Joseph Beuys) der ganze wundervolle Text von SARK ihm zugeschrieben wird. https://www.newslichter.de/2013/01/zu-neujahr-jeder-mensch-ist-ein-kunstler/

  5. Und auch das newslicht mit dem ganzen Text von 2012 ist jetzt korrigiert 🙂 https://www.newslichter.de/2012/04/charlie-chaplin-uber-selbstliebe

  6. Wundervoll! Ich freue mich sehr, über all die Wahrheiten!
    Die Wahrheit kommt ans Licht… früher oder später! 😘🙏☀️

  7. Engelbert Fels sagt:

    Wenn das für Sie des Rätsels Lösung ist, dann müssen Sie aber auch glaubhaft erklären, wie es möglich war, dass Charly Chaplin dieses Gedicht angeblich anlässlich seines 70. Geburtstages am 16. April 1959 vorgetragen haben soll.

    Ob dieses Gedicht wirklich aus der Feder von Charly Chaplin stammt, ist umstritten.

    Angeblich entstanden die Originalverse kurz vor dem Tod der amerikanischen Autorin Kim McMillen 1996. Das kleine Buch mit dem Titel „When I Loved Myself Enough“ wurde 2001 von deren Tochter Alison in englischer Sprache veröffentlicht.

    Solange es nicht zweifelsfrei bewiesen ist, muss demnach also auch diese Aussage umstritten sein bzw. angezweifelt werden!

    Wie auch immer – der Inspirationskraft und Lebensweisheit dieses Gedichtes tut dies keinen Abbruch.

  8. Olaf Hantl sagt:

    1001 Zeichen von mir, die Euer ‚Türsteher‘ gerade, ins Nirvana entsorgt hat.

    Eine Anmerkung von Kim McMillens Tochter Alison.
    https://simontzu.wordpress.com/2009/04/30/when-i-started-loving-myself-charlie-chaplin/

    ich vermute, es lag an den beiden Links, die Ihr findet, wenn man im Internet nach ‚Olaf Hantl +Charlie Chaplin‘ googelt. Fall er noch irgendwo für Dich sichtbar ist … ich finde es sehr Schade, wie Ihr mit dem geistigen Eigentum Eurer Kommentatoren umgeht.

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