Was ist Friedensjournalismus?

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Von Christa Leila Dregger. Kriege werden erst ein Ende haben, wenn Visionen, Alternativen und Friedensinitiativen öffentlich wahrgenommen werden. Informationen schaffen Wirklichkeit. Diese Weisheit, die so stark von kriegstreibenden Kräften genutzt wurde, ist auch für den Frieden nutzbar. Der Begriff Friedensjournalismus meint eine deeskalierende Rolle von Medien und JournalistInnen, ihre Parteinahme für den Frieden und die Fähigkeit, friedensbildende Entwicklungen interessant und lebendig darzustellen.

Die Aufgabe des Friedensjournalismus besteht vor allem darin, über Friedensentwicklungen, -perspektiven und -visionen zu informieren. Das bedeutet z. B., der Medienwirksamkeit von Gewalt und Katastrophen eine andere Möglichkeit entgegen zu stellen und ebenso faszinierend und spannend darzustellen: positive Perspektiven, Visionen, Kooperation und Versöhnung. Oder es heißt, in Konflikten nicht nur die Unterschiede und das Konfliktpotential, sondern einen gemeinsamen Grund, eine Lösung zu recherchieren und den Prozess der Versöhnung und Friedensentwicklung zu begleiten und sichtbar zu machen. Solche manchmal für das an Sensationen gewöhnte Zuschauerauge langsam oder unscheinbar ablaufenden Prozesse ebenso spannend und interessant zu präsentieren wie bisher Gewalteskalationen, erfordert neue Wege für den Journalismus und seine Ausbildung. Deeskalierend oder visionär zu berichten, ist im journalistischen Repertoire eine noch wenig geübte Kunst. Es geht nicht nur um die schlichte Form der „Good News“; es geht um eine andere Perspektive des Journalisten, um die Perspektive der Anteilnahme, der Lösungsorientierung, des Lebens auf der Erde.

Der Friedensjournalismus hat die Aufgabe, zu zeigen und spürbar zu machen, dass es Dinge gibt, die wirksamer, interessanter, effektiver sind als Gewalt.

Welche Informationen sind es, die Freund und Feind an einen Tisch bringen? Welche Sprache ist geeignet, Friedensprozesse spannend darzustellen? Wie können Friedensinformationen so gesendet werden, dass sie einen iterativen (sich selbst verstärkenden) Prozess auslösen?

Wer so schreiben oder berichten will, braucht die Erfahrung, dass Friede möglich ist, auch in schwierigen Situationen. Er oder sie braucht realistische und glaubhafte Visionen für die oft aussichtslos scheinende Situation der Erde. Er braucht ein Erfahrungsumfeld der Friedensbildung.

Noch fehlen dem Friedensjournalismus nach meiner Wahrnehmung (ich lasse mich gern eines Besseren belehren) der Austausch auf hohem Niveau, Kooperation mit bestehenden und der Aufbau von neuen Medien und vor allem eine fundierte und engagierte Ausbildung.

Einige Prinzipien des Friedensjournalismus, wie ich ihn verstehe

1. Slow News:

„Frieden ist die Fähigkeit, einen Konflikt kreativ und ohne Gewalt zu lösen. Ein Friedensjournalist schreibt weder für noch gegen Krieg, sondern über Friedensvisionen und friedensbildende Vorgänge. Friedensbildende Vorgänge sind immer gemeinschaftsbildende Vorgänge. Sie sind meistens subtil und dauern manchmal Jahre oder Jahrzehnte.“ (Johan Galtung)

Solche langsamen Prozesse spannend darzustellen, verlangt vom Journalisten, mitzufühlen und die Vorgänge nicht nur von außen, sondern auch von innen und aus der Perspektive aller Betroffenen wahrzunehmen und zu beschreiben. Solche Fähigkeiten lernt man nicht auf Schlachtfeldern, man lernt sie auch nicht im Alltagsgeschehen einer auf Konkurrenz ausgerichteten Medienlandschaft. Deshalb sollte eine Ausbildung für Friedensjournalismus eng mit einem Friedensprojekt zusammenarbeiten, das auf allen Ebenen Gemeinschaftswissen – das heißt unter anderem: soziales Wissen, Kommunikation, Ergänzung, Konfliktbearbeitung – erarbeitet, anwendet und lehrt.

2. Deeskalierend berichten:

Berichte mit dem Fokus auf der Gewalttat verstärken die Wut und Hilflosigkeit und bereiten den Boden für neue Gewalt. Kriegsberichterstattung funktioniert oft wie Sportjournalismus: Man zählt die Bomben, so wie man Tore zählt. Doch aus menschheitlicher Perspektive ist der erfolgreiche Schlag gegen den Feind kein Tor und kein Sieg, sondern bedeutet wiederum Leid und Schmerz.

Ein Friedensjournalist verschweigt die Gewalt nicht, aber er erzählt die ganze Geschichte. Er fragt nicht nur: Wie viele Tote?, sondern: Wie kam es dazu? Und: Wie sieht von hier aus der Weg zum Frieden aussehen? Er lässt nicht nur Extremisten, Politiker und Militärs zu Wort kommen, sondern gemäßigte Menschen sowie Spezialisten für Konfliktlösung. Er weiß, dass es nie nur zwei Seiten gibt – wie beim Fußball, sondern viele Interessengruppen, von denen zahlreiche keine Stimme haben und andere immer im Verborgenen bleiben wollen.

3. Ein Friedensjournalist braucht Wissen über Konfliktlösung.

Gewalt kann niemals Konflikte lösen – sie kann höchstens die andere Seite zum Verstummen bringen. Doch irgendwann wird sie sich wieder erheben. Auch ein Kompromiss ist in den seltensten Fällen eine nachhaltige Konfliktlösung – die Unzufriedenheit bleibt. Ein Konflikt ist noch kein Krieg, im Gegenteil, ein Konflikt ist ein Geschenk, durch das die Betroffenen zur Weiterentwicklung aufgefordert werden. Ein Konflikt wird niemals auf der Ebene gelöst, wo er entstanden ist. Ein Konflikt wird erst dadurch gelöst, dass eine Situation visioniert und erzeugt wird, die beiden Seiten mehr Vorteile bringt als die vorherige Situation. Diese Lösung zu recherchieren durch Gespräche mit Betroffenen und Sachverständigen, ist eine herausfordernde Aufgabe für Friedensjournalisten.

4. Empowerment statt Opferitis humana:

Auch wer alles verloren hat, ist nicht nur Opfer, sondern ein Mensch mit Gedanken, Plänen, Interessen – und oft treffender Analyse. Eine weinende Frau vor ihrem zerstörten Haus zu fragen, wie es ihr geht, hat nichts mit Friedensjournalismus zu tun. Friedensjournalisten fragen, was sie jetzt tun werden, was ihrer Meinung nach den Konflikt beilegen könnte oder wie aus ihrer Sicht eine Lösung herbeigeführt werden könnte.

5. Die andere Seite sichtbar machen.

Wo Volksgruppen getrennt werden und der Austausch unter ihnen verhindert wird, gedeihen Gerüchte. Die andere Seite wird dämonisiert, es entsteht der Boden für Krieg. Mauern in den Köpfen abzubauen, durch Information Brücken zu schlagen, ist Friedensjournalismus. „Ein Feind ist jemand, dessen Geschichte wir noch nicht gehört haben“, sagte Gene Knudsen Hoffman. Was die Menschen der anderen Seite bewegt, wonach sie sich sehnen, welche Musik sie hören und was sie gerne essen – das zu erfahren, bedeutet, den Feind wieder als Mensch wahrzunehmen. Der Friedensjournalismus findet Mittel, den gemeinsamen Boden zu sehen, auf dem beide Seiten stehen.

Ein Beispiel: Im Jugoslawienkrieg gab es Städte, die geteilt waren in Serben und Kroaten. Was bisher Nachbarn, Mitschüler, Freunde waren, waren jetzt Feinde. Mauern und bewaffnete Posten verhinderten einen direkten Kontakt; die Menschen kannten nur die Hetzpropaganda der anderen Seite. Der Friedensaktivist Wam Kat und sein elektronisches Netzwerk „ZaMir“ (Frieden) schufen ein Computernetz, das über Telefonleitungen und aberwitzige Umwege die Schüler beider Seiten zu Wort kommen ließ, lange vor der Erfindung sozialer Medien. Ein reger Austausch kam zustande; den Diskussionen über Musik und Liebe folgte die Feststellung, dass die Jugendlichen der anderen Seite sich nicht so sehr unterschieden. So wurde die offizielle Medienpropaganda an einigen Orten unterlaufen.

6. Visionär berichten.

Die Lösung – also die Zeiten nach dem Krieg und der Besatzung – zu visionieren und die möglichen Wege dorthin zu recherchieren, ist Friedensjournalismus. Die Vision als innerer Bezugspunkt der Berichterstattung beeinflusst die Fragen und Auswahl der Informationen. Auf diese Weise können Berichte Mut und Lust auf Zukunft auslösen. Eine Vision für den gelösten Konflikt zu sehen, die Möglichkeiten ihrer Realisierung zu recherchieren und zu verbreiten, ist eine der wichtigsten journalistischen Formen der Zukunft.

Eine Beispiel: Der Holy Land Trust aus Bethlehem fragt auch nach hundert Rückschlägen des Friedensprozesses unermüdlich Bauern, Hausfrauen, Schüler, Kämpfer, wie ihr Leben nach der Besatzung aussehen wird. Man stelle sich vor, Nahost in 20 Jahren. Eine Föderation selbständiger Landstriche von Ägypten bis Libanon, von Tel Aviv bis Damaskus, eine Region mit offenen Grenzen, wo man morgens in Kairo frühstückt, mittags in Jerusalem betet und abends in Beirut tanzen geht. Utopisch? Vielleicht, aber wer hätte schon nach dem zweiten Weltkrieg an ein Europa ohne Grenzen geglaubt?

Dies ist ein Auszug aus dem Artikel FRIEDENSJOURNALISMUS: NICHT NUR GEGEN DEN KRIEG, SONDERN FüR DEN FRIEDEN SCHREIBEN, der zuerst bei 3/2022 bei terra-nova erschien.

Christa Leila Dregger lebt seit vielen Jahren in Gemeinschaften, davon 18 Jahre in Tamera, denn – wie Johan Galtung sagte: Jede Friedensentwicklung ist eine Gemeinschaftsentwicklung. Sie ist Journalistin und Buchautorin für die Themen Mann-Frau, Frieden, Ökologie und betreibt das „Terra-Nova-Studiennetzwerk“ von Menschen und Gruppen, die am Aufbau von Heilungsbiotopen interessiert sind und diese unterstützen möchten. Mehr dazu hier: terra-nova.earth

Traumainformierter Journalismus

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4 Kommentare zu “Was ist Friedensjournalismus?
  1. Anne sagt:

    Danke für diesen zukunftsweisenden Artikel. Ich stelle mir vor, dass er in jeder Tageszeitung auf der Titelseite erscheint! Das Potential solcher Berichterstattung wäre riesig.
    Nun gut, fangen wir selbst an, in dieser Weise über uns und die Welt zu sprechen…

  2. Claudia sagt:

    Grossartig, liebe Christa! Vielen Dank für Deine weisen und klaren Worte, So gebraucht…

  3. Sabine Jung sagt:

    Liebe Christa Leila Dregger, ich bin berührt von diesem wunderbaren Artikel über Friedensjournalismus! Sehr inspirierend. Möge sich die Berichtserstattung mehr und mehr in diese Richtung bewegen, das fühlt sich so gut an…🙏🏼🕊Und mögen immer mehr Menschen bereit sein, sich für den Frieden und ein wohlwollendes Miteinander zu öffnen und einzusetzen. Von Herzen Danke!💖

  4. Dagmar sagt:

    …auch ich bin tief berührt….WAS für eine Vision / Mission….DANKE von Herzen an dieser Stelle an newslichter und Partner*Innen…..DANKE, daß IHR ALLE schon so lange diesen Friedensweg mt Euren Veröffentlichungen voran geht….diesen bereitet….was für ein Segen*****
    Von Herzen,
    Dagmar

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