Die Freiwilligen der Feuerwehr

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In meinem kleinen Städtchen gibt es Menschen, jüngere und ältere, Frauen wie Männer, die der freiwilligen Feuerwehr angehören. Sie sind diejenigen, die alles stehen und liegen lassen, um zu helfen sobald das Signal ertönt. Sie unterbrechen mitten am Tag ihr Tun und Lassen, ihren Beziehungsalltag, Familienleben, Berufsarbeit, Haus- oder Gartenarbeit, Freizeit, Kino, vielleicht das Grillen an einem Sommernachmittag mit FreundInnen – was es auch sei.

Sie werfen sich des nachts aus dem Tiefschlaf heraus in ihre Kleider, springen aufs Fahrrad oder ins Auto, fahren zur Feuerwache. So schnell wie möglich. Um dort all das zu tun, von dem ich nur eine vage Vorstellung habe. Schutzkleidung anlegen jedenfalls, das Einsatzfahrzeug startklar machen, Garagen öffnen. Sobald die Truppe vollständig ist gehts los. Dorthin, wo sie notwendig gebraucht werden. Menschen retten. Feuer löschen. Und vieles vieles mehr. Menschen aus Unfallfahrzeugen bergen gehört auch dazu, „herausschneiden“ ist das beklemmende Wort dafür. Und beklemmend ist manches von dem, was sie an hoher Not erleben. Gleichwohl haben sie sich entschieden. Für diesen Dienst an der Gemeinschaft. Und ganz konkret dann jedesmal aufs Neue für den Dienst an eben den Menschen, auch Tieren, die es im Augenblick der Not so dringend brauchen. Gefahr ist da oft mit an Bord. Als uralte Alleebäume in der Region im heftigen Sturm vieler Tage einer um den anderen fielen, da war auch nur vor die Tür zu treten schon keine Sache mehr, die irgendjemand freiwillig hätte tun wollen. Doch sie waren draußen. Unterwegs. Haben getan, was ihnen möglich war.

Nach einem Einsatz geht es weiter mit der Arbeit. Nacharbeit. Und Vorarbeit. Damit der nächste Einsatz schnell und unmittelbar möglich wird. Wann er kommt ist offen. In jenen Sturmtagen gab es kaum Atempausen. Tage- und nächtelang ging die Sirene eins ums andere Mal. Das stellt die KameradInnen vor Bedingungen, so ahne ich es, die womöglich noch extremer sind als für KlinikärztInnen, die 48-Stundendienste zu leisten haben. Komme was wolle.

Übers Jahr gibt es Arbeit, die im Hintergrund geschieht. Die wir als Gemeinschaft nur ahnen.

Und für all dies bin ich dankbar.

In dieser Dankbarkeit anzukommen war ein Weg

In meiner Kindheit löste das Heulen der Sirene, mit der ich als Großstadtkind der Sechziger aufwuchs, arge Bedrängung und Beklemmung aus. Sie war so laut. Grausam laut. Auch Not der Eltern und Vorfahren aus beiden Weltkriegen mag sich da in meinen Zellen aktiviert haben. Die inneren Bilder jedenfalls waren gewaltig. Fantasien, Vorstellungen, die mich atemlos machten. Diese Verbindung von Sirenen-Heulen und meiner inneren Enge währte Jahrzehnte.

In meiner neuen Heimat kannte ich dann, anders als zuvor in der Großstadt, einige Menschen vom Sehen, die zur Freiwilligen Feuerwehr gehören. Auch fiel mir irgendwann auf, dass ein Nachbar jedesmal zu seinem Auto rannte sobald die Sirene ertönte.  Ich begann zu ahnen, dass auch er ein Feuerwehrmann der Freiwilligen Feuerwehr sein könnte.

Eines Tages traf ich ihn auf der Straße, fragte ihn danach. Und es stellte sich heraus, ich hatte richtig vermutet. Ich sagte ihm, wie froh und dankbar ich ihm bin, dass er diese Arbeit tut. Erzählte ihm, dass ich mich seit einiger Zeit bei jedem Ruf der Sirene innerlich bedanke bei all denjenigen, die bereit sind, sich jetzt auf den Weg zu machen und das ihnen Menschenmögliche tun, um zu helfen. Was in diesen Tagen noch eine ziemlich frische Sache in mir war. Mir war aufgefallen, welch andere Energie in mir und der Welt ist, wenn ich auf diese neue Art reagiere, wann immer die Sirene ertönt. Eine WEITE entstand so, die das ganze Gegenteil der alten Enge war, in der ich jahrzehntelang reagiert hatte. Es schien auch die Qualität eines Segens zu haben, den ich den Frauen und Männern der Freiwilligen Feuerwehr zusprach. Und statt in Anspannung zu bleiben und mich innerlich wie wegzuducken vor der angstvollen Vorstellung, dass da gerade jemand in Not war, erkannte ich jetzt an, dass es so war – und dass Hilfe auf dem Weg ist.

Das Geschenk, das aus meinem Erzählen entstand, war groß. Für mich. Ich konnte buchstäblich sehen, wie noch während ich sprach eine große Last von ihm abfiel. Er sagte, dass kaum jemand ihr Tun anerkennen würde. Und sprach übergangslos von seinem ersten Einsatz in jungen Jahren. Es lag Jahrzehnte zurück. Ein schwerer Verkehrsunfall auf der Autobahn. Was er dort sah. Erlebte. Was sie dort tun mussten. Es war in ihm, als sei es gerade eben passiert. Es war schwer für ihn. Damit zu sein. Damit zu leben. Dass ich ihm in diesem Augenblick an der Straßenecke zuhörte und da und anwesend war für seinen erlebten Schrecken, war das Geschenk, das ich ihm machen konnte. Eine ist jetzt da, die bereit war, es sich anzuhören. Die davon weiß.

Und ich war – und bin! – so froh, zu erleben, dass es immer eine Möglichkeit gibt, wie wir verbunden einander etwas sein können. Während wir das Erlebte an sich nicht zu ändern vermögen, ändert sich doch etwas in der Tiefe der erlebten Not in uns, wenn ihre Präsenz durch ein anderes fühlendes Wesen gesehen und als wahr anerkannt ist.

Wenn unsere Sirene vor Ort geht, und dieser Tage ruft sie oft, dann halte ich jedesmal inne, denke an die Menschen. Danke all denjenigen, die in diesem Augenblick bereit sind, alles stehen und liegen zu lassen. Und zu tun, was ihnen möglich ist. Zu helfen, wo Hilfe notwendig ist. Mit ihrer Zeit, ihrer Aufmerksamkeit, ihrem Wissen, ihrem Körpereinsatz, dem entscheidenden handgreiflichen Tun. Bereit dazu, je nach den Umständen ihre Gesundheit zu riskieren, manchmal unter Einsatz ihres Lebens. Dafür bin ich zutiefst dankbar. Es nährt eine warme Freude in mir, wahrzunehmen welcher Segen da in uns allen in unserem Urgrund wohnt – die Gabe und Bereitschaft beizutragen und einander hilfreich zur Seite zu stehen.

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12 Kommentare zu “Die Freiwilligen der Feuerwehr
  1. Ana sagt:

    Liebe Miriam, hab Dank für deinen Beitrag. Es ist so wichtig jene helfenden Menschen zu wertschätzen. Vor allem in der heutigen Zeit, in der sie doch so oft von einem kleinen Teil der Gesellschaft verachtet und angegriffen werden.
    Danke. Dein Beitrag bestärkt mich die Qualifizierung zur Rettungssanitäterin zu machen und mehr meinem Ehrenamt nachzugehen.
    Herzlichst Ana

    • Miriam sagt:

      Liebe Ana, wie schön, dass es da diesen Ruf in dir gibt, dem du folgen magst! Es ist so wervoll unseren Ort in der Welt zu finden. Zu entdecken, wie sich mit uns selbst und dem Gemeinschaft Sein eine stimmige Form der Verbundenheit entwickeln lässt. Dieses Netz, das wir im Miteinander bilden ist kostbar. Und zu begreifen, dass es von jeher besteht, erweckt in mir immer aufs Neue ein großes, dankbares Staunen! Herzlich, Miriam

  2. Liebe Miriam!
    Danke für dieses so warme und von Dankbarkeit erfüllte Sein und Teilen.
    Auch ich lebe in einem kleinen Dorf und bin umgeben von jungen und älteren Menschen, die in der freiwilligen Feuerwehr aktiv sind. Gott sei Dank.
    Ich denke, wenn ich die Sirene höre, in großer Dankbarkeit, dass ich die Hilfe gerade nicht brauche und dass ich sie bekomme werde, wenn es doch so sein sollte.

    Vielleicht schreibe ich dazu einen eigenen Artikel, denn mir kommen so viele Gedanken dazu, dass ich viele Kommentare schreiben müsste, um dem, was in mir ist, Raum zu geben.

    Euch allen eine gute Zeit – und mögen die Sirenen nicht euch gelten, wenn die freiwillige Feuerwehr ausrücken muss.

    Herzensgrüße
    Imke

    • Miriam sagt:

      Dank dir, liebe Imke – ja, mögen alle Wesen geborgen sein in der großen Liebe, die in uns und allem wohnt! Getragen und genährt auch in Krisen, äußeren wie inneren Herausforderungen. In unserem Wachsen und Werden. Im großen Lernabenteuer Mensch zu sein. Sonnengrüße zu dir

  3. Meike sagt:

    🫶🏼 💗 🫶🏼 💗 Ein warmes DANKE und Herzgrüße zu dir, Miriam
    (die Bedeutung von Miriam – Meeresstern oder die Geliebte – auch eine ältere
    hebräische Form von Maria). Habe ich gerade gelesen. Wie trefflich 🙂

    • Miriam sagt:

      Was für ein Geschenk – dank dir Meike! Kannte die beiden Namensbilder nicht. Und seh mich fröhlich erfüllt von dieser neuen Richtung, meinen Namen zu lesen, hören, genießen. Liebe Grüße!

  4. Andrea sagt:

    Ich hab den Artikel in meinem Status geteilt, weil ich so gut nachempfinden kannst, was Du zu Deiner Ambivalenz gegenüber Sirenen schreibst. Als Kriegsenkelin und aufgewachsen mit Atomalarmübungen habe ich immer eine diffuse Angst gespürt. Und genauso wichtig finde ich die Wertschätzung derer, die sich freiwillig in diesen so wichtigen Dienst stellen. In diesem Sinne ein großes Danke für diesen Artikel.

    • Miriam sagt:

      Was für ein Hinweis, Andrea. Dank dir! Hatte das gar nicht mehr im Bild. Atomalarmübungen, in der Grundschule im Klassenzimmer auch – was für ein gründliches Vergessen. Aber ja, genau so wars. Und über die uns eingepflanzte Angst sprach niemand. Die Erwachsenen hatten sie wohl selbst. Und hatten dabei meist durchs Abtrennen von ihren Gefühlen ihr Dasein stabil gehalten. Kein Wunder, dass unsere Generation sich erst ans Tageslicht buddeln durfte / darf. Wieder ganz zu werden mit allem, was zu uns gehört. Frohes Sein dir und DANKE fürs Teilen!

      • Käthe sagt:

        Liebe Miriam,

        Danke für diese wunderbaren Worte, die die notwendige Bewusstwerdung von gemachten Selbstverständlichkeiten so deutlich macht.
        Und danke für die Worte des „gründlichen Vergessens“ + „der eingepflanzten Angst“ – wow, da kommen Gefühle in mir hoch, die längst schon nicht mehr in mir spürbar waren – danke….

        Doch sind wir als Kriegsenkeln, geprägt von diesen Erfahrungen unserer Eltern – immer noch. Jedoch mache ich die tägliche Erfahrung, dass unsere Generation sich ‚ans Tageslicht buddeln‘ darf und es auch vermehrt kann.
        Diese deine Gedanken und Zeilen lassen erkennen, wie wichtig es ist, sich dieser Selbstverständlichkeiten wieder bewusst zu werden und die Dankbarkeit und Demut davor zu haben, dass es Menschen gibt, die für uns sorgen.
        Herzlichst Käthe

  5. Wim Lauwers sagt:

    Weil Jed*er vielleicht mal Hilfe braucht, fände ich es gut, wenn Jed*er dazu verpflichtet würde, sich aktiv einzusetzen. Damit würde die Last auch auf allen Schultern liegen.

    • Miriam sagt:

      Lieber Wim, was für ein starkes Bild, mir vorzustellen, wir kännten alle den inneren wie äußeren Erlebensraum des Tuns aller anderen. Welchen Respekt, welch zugewandtes Miteinander das hervorbringen mag. Ich glaube wir sind schon dabei, das entstehen zu lassen. Indem jede*r in sich den inneren Ruf hört und ihm folgt: zu schauen, zu fragen, sich einzufühlen ins eigene Tun und Lassen UND das der anderen. Frei von vor-Urteilen, mit offenem Herzen. Mit unserer innewohnenden Sehnsucht zu ergründen, was das Leben sei. Darin auch elementar dies: was mich wie meine Mitwesen innen wie außen bewegt. Biografische Berufsvielfalt, Praktika, Freiwilligenarbeit, pures Dasein und allerlei mehr mit eingeschlossen.

      • Miriam sagt:

        … dieses wunderschöne altmodische Wort meiner Urgroßeltern braucht anstelle des Ä ein E – und dann heißts richtig so: „kennten“

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