All die Farben der Liebe

Lesezeit 4 Minuten –

Ich arbeite an einer prächtig bunten Häkeldecke. Wie kaum etwas sonst hat sie die Qualität, mich zu stärken, zu wärmen. Ihre Farben sind so wunder- wunderschön. Ein Kunstwerk, das ich selbst hab entstehen lassen. Gleichwohl erlebe ich diese Strahlkraft als Wunder. Hier sitz ich also, und genieße es, die Farbenpracht zu vervollständigen. Bald ist das Werk vollendet. Und es tut mir so gut, meinen oft überbordenden Gestaltungsdrang durch sie in Ausdruck zu bringen. Etwas zu vollbringen, mich zu bewegen, tätig zu sein. Zu erschaffen.

Während ich Masche auf Masche des mittelblauen Baumwollgarns in die Reihe zarte Lachsfarbe einarbeite in alter afghanischer Häkelkunst – in einem Muster, das einen amerikanischen Namen trägt, Apache Tear – erinnere ich mich an Worte meines Vaters. Die mir fremd sind. Als ich ihm im erinnerten Moment von meinem beruflichen Arbeiten erzählen will, gerät mir sein Weltbild in die Quere. Denn ihm gilt als berufenes, berufliches Tun allein jenes, das in Geld bezahlt wird. Sein Befremden, seine angespannte Reaktion und Bewertung meiner Worte, meines Erzählens schwingt in mir noch immer als Trauer nach.

Und dann, irgendwie gleichzeitig, ereignet sich neben dieser Erinnerung an das Gespräch mit ihm ein innerer Austausch mit meiner Mutter. Mit ihr, die – im Außen – schon seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr da ist. Vor vierundzwanzig Jahren starb sie, ganz plötzlich damals. Wie durch einen Unfall entkam sie der Welt, entglitt sie uns als Familie. Und wir alle standen da, erschüttert, ratlos. Ohne sie.

Doch ihr leiblicher Tod scheint ihre Gegenwart keineswegs zu hindern. Denn in eben jenem Augenblick jetzt hier, wende ich mich ihr zu. Es ist für mich klar, sie versteht mich. Ihr ist anschaulich, dass eine, dass ich, ihre erstgeborene Tochter, in einem Reichtum des Lebens angekommen ist, der sie prachtvoll nährt. Aus den Jahrzehnten der depressiven Hemmung hab ich ein mich-in-die-Welt-Gebären vollbracht. Um das ich wohl gelegentlich noch ringe. Dass ich jedoch berufen arbeite, dass mein Tun die Welt gestaltet, beiträgt, mich lebendig sein lässt und froh verbunden, das brauche ich ihr nur lächelnd zuzudenken. Sie weiß, was mich bewegt. Sie ist imstande zu sehen, dass es nicht darauf ankommen braucht, ob ich mit meiner Arbeit unmittelbar und direkt Geld in mein Leben einspiele. Das alles darf werden. In der gebotenen Ruhe, die mein Leben erfordert. Und der gebotenen Ruhe, die mein stabiles Dasein ermöglicht.

Mich in diesem Glück des lebendigen Tuns zu bewegen, diese Freude kann sie spüren. Sie hat solche Ebenen tief gefühlt und verstanden in ihrem Menschsein. Als ihre Seele hier war, verkörpert. Als sie bereit war, meine Mutter zu werden und wurde. So wie mein Vater bereit war, mein Vater zu werden und es bis heute ist.

Und gerade eben so wählte meine große Seele sie beide als meine Eltern und meinen vor mir geborenen und gestorbenen Bruder als meine Familie. Als Erfahrungsraum für all das, was ich in mir für dieses Leben, im verkörpert Sein als ihre Tochter zu erleben, zu lernen, zu bewegen und zu lösen mir vorgenommen habe.

Die Fülle der Gegenwart meiner beiden Eltern, meinem lebenden Vater, meiner dem irdischen Dasein entstorbenen Mutter, macht mich reich. In allen Herausforderungen und Freuden. Worin die größeren Geschenke liegen mögen, ist mir offene Frage. Das Zusammenspiel der verschiedenen Dimensionen, der vielen Angebote jedenfalls, erlebe ich als Segen. Nicht immer unmittelbar und in jedem Hier und Jetzt. Darin bin ich dann eben auch sehr menschlich. Doch im inneren Betrachten von Ereignissen, der Bewegungen meiner Emotionen, stellt sich im Augenblick der ruhigen Einkehr immer eine Wahrheit ein, die mich weit über das menschliche Ruckeln und Zuckeln von Unbill und Widerstand hinaus trägt. In den Raum unerschütterlicher Liebe. Die alles trägt. Die in mir wohnt. Im Zuspruch meiner Mutter zu Lebzeiten und darüber hinaus. Wie in den Herausforderungen, die mir in den Ängsten meines Vaters begegnen. Alles ist und bleibt Geschenk und Gabe der unerschöpflichen Liebe, die in allem wohnt.

Dafür bin ich dankbar. Und häkle weiter. An der Farbenfülle meiner seelenwärmenden Regenbogen-Decke. Im Hier und Jetzt.

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Miriam Licht
Miriam Licht

12 Kommentare

  1. So schön🌞
    Danke für dein Schreiben

    Ich stricke Frieden und das wird genau so farbig und warm und ergibt viele Verbindungen im Tun.
    Aussen wie Innen.
    Herzgruss
    Esther

    • Herzgrüße zu dir, liebe Esther, in dein farbig-warmes Verbindungen Erschaffen! Lässt mich innen und außen lächeln.

  2. Ach, wie wohltuend. Gedanken und Worte zu richtigen Zeitpunkt, die das Denken und das Herz weiten. Großen Dank!!

    Herzlich Susanne 🙏💖

    • Vielen Dank Miriam, deine Zeilen berühren mich. Ich trage ebenso beide Pole meiner Eltern in mir und bin auf meinem Weg meinen inneren Impulsen zu vertrauen.

      • Hui ja, das ist ein Projekt, das innwohnend Eigene zu finden und sich darin Mut zuzusprechen. Aus dem Wachsen-und-Werde-Raum heraus, in den wir uns eingeboren haben. Gute Wege darin und schöpferische Freude, liebe Britta!

    • Ja, was für ein Glück, liebe Susanne. unser Denken und unsere Herzen zu weiten. Köstliche, ureigene Entscheidung, es zu wagen, uns einzulassen aufs Weitwerden. In dieser newslichter-Freude des Teilens. Wundersames Geschenk!

  3. Liebe Miriam, bunt, warm und voller Geborgenheits-Ausstrahlung legt sich dein Text um mich wie deine Decke um dich. DANKE. Dorothee

  4. Liebe Miriam
    Dein Text berührt mich auf so vielen Ebenen, von deiner Familiengeschichte, über die Liebe zur Handarbeit, die dem Fliessen der Seele so sehr entspricht in ihrem Tempo, über die Liebe zu den Farben, die ich mit dir teile- und in all dem das Leuchten deiner Seele.
    Ich sah in meinem Inneren einen Film über dich, mit der Häkeldecke in den Händen, in dem du von deinem Leben, deinem Sein erzählst.
    Es gibt diese wunderbare Filmreihe „Reflections of life“ auf youtube, früher hiess sie „Green Renaissance“.
    In diesem Stil stelle ich mir ein Portrait über dich vor.
    Ich weiss nicht, ob es im deutschsprachigen Raum auch so etwas gibt.
    Es wäre wunderschön.
    Von Herzen
    Michelle

    • Ich seh den Film schon, Michelle, den du beschreibst – das ist ja wundersam. Dank dir für deinen Genuss, zu lesen und zu teilen. Mein Lebensfilm ist bunt, da wird allerlei gehäkelt. Mehr noch als farbiges Garn. Bin mittendrin in diesem Abenteuer, doch mich darin auch gesehen zu wissen, schenkt mir eine nährende Verbundenheit, die reich ist. Ein Geschenk. Und nichts weniger als ein Wunder. newslichter-Zauber!

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