Ernte-Dank

Lesezeit 7 Minuten –

Dieses Fest gehört (auch) zu den Festen im Kirchenjahr – doch seinen Ursprung hat es darin nicht. Es ist in keiner Weise mit der Biografie von Jesus verbunden, wie andere Feste (Weihnachten, Ostern), es steht für sich und wurde von der Kirche als Erntefest übernommen, weil es im bäuerlichen Kalender ein sehr wichtiger Anlass war: Die Ernte ist eingebracht!

Jedes Mal wieder neu ein Grund zum Feiern – so vieles hätte schiefgehen können, und jetzt hält man inne und schaut: Was ist denn da? Kommen wir über den Winter, der vor uns liegt? Und ein Grund zum Dank an die Gottheit — denn eine gute Ernte bleibt unverfügbar.

Immer noch wird das Erntedankfest überwiegend als Erntefest in der bäuerlichen Tradition gefeiert – auch heute noch sind die Kirchen mit den Erträgen des Landes geschmückt, auch wenn die Altäre (zumin­dest in der Stadt) nicht mehr so voll sind, sondern nur noch symbolische Mengen an Erntegaben haben.

Dafür werden in manchen ländlicheren Gebieten große Erntefeste gefeiert, mit Umzügen von Erntewagen und viel Mühe beim Bauen und Ausstatten derselben, oft im Wettbewerb. Der Dank für die Ernte scheint dabei eher in den Hintergrund zu treten. Dabei wäre es vielleicht an der Zeit, wieder mehr die Erde und ihre Fruchtbarkeit (trotz aller Misshandlung durch den Menschen, seine Maschinen und Pestizide) in den Blick zu nehmen und sehr, sehr dankbar zu sein, dass sie immer noch für uns da ist – obwohl sich ihre Geduld womöglich langsam dem Ende nähert und sie / wir zunehmend unter der Erosion der Böden, fehlendem Humus und neuen klimatischen Bedingungen leiden. (Es tut mir leid, wenn das ungerecht gegenüber den Landwirt*innen ist, bei denen ich von vielen weiß, dass sie ihr Land lieben und ihr Bestes geben.)

Wir können eine sehr grundsätzliche Dankbarkeit kultivieren – dafür, dass wir tatsächlich genug zu Essen und zu Trinken haben, Luft zum Atmen, ein warmes Zuhause und viele andere Dinge des täglichen Bedarfs. Mehr als genug. (Wobei eine Diskussion darüber, was denn eigentlich „genug“ ist, sicher sehr spannend wäre und zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen käme.)

Wir können für das Materielle danken: angefangen bei den einfachen, natürlichen Dingen, die wir sehen, für das Geld, das wir verdienen, für die Häuser und Wohnungen, in denen wir leben, für all das, was wir uns immer noch leisten können – von der Kleidung bis zum Smartphone.

Allein wenn wir durchgehen, was wir so alles an Besitz haben, dann finden wir sicher mehr Grund zum Danken (vielleicht auch zum Teilen und Freilassen), als uns klar ist.

Und das ist längst nicht alles.Da gibt es auch all die Dinge, die wir mit Geld nicht kaufen können:

Der Geruch der Wiesen, früh im Morgennebel, die frische, kühle Oktoberluft, die Wärme der Sonne am Mittag, der Duft von frischem Kaffee oder einer kräftigen Suppe …

der Geschmack von frischem Brot, der Druck einer Hand, das Lachen eines Kindes, ein leidenschaftlicher Kuss …

die selbstverständliche Gegenwart eines geliebten Menschen, der freundliche Plausch mit der Nachbarin …

Doch bleiben wir bei uns selbst: Wofür bin ich dankbar?

Es geht nicht um eine mechanische Aufzählung, sondern eher um ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit. Was fällt mir da als Erstes ein? Und wie viel fällt mir überhaupt ein? Viele sind inzwischen schon „geübt“ in Dankbarkeit – sie wird ja vielfältig empfohlen. Andere wollen das immer mal ausprobieren und kommen nicht dazu. Erntedank ist ein guter Anlass, einfach mal Ritual der Dankbarkeit auszuprobieren …darum schlage ich hier einige vor.

Dankbarkeits-Ritual im Stehen

Hinstellen, Stehen, Spüren: ausgestreckt zwischen Himmel (Kopf) und Erde (Füße):

Spüre die Füße bewusst auf der Erde, Ferse, Außenkanten, Großzehballen, lass, wenn du magst, Wurzeln nach unten wachsen; beuge leicht den Kopf, sodass der Nacken lang ist und die Fontanelle zum Himmel zeigt: spürst du, wie du dich streckst / ausgestreckt bist zwischen der Erde und dem Himmel, der Materie und dem Kosmos, deinem Menschsein und deiner Gottebenbildlichkeit?

Arme ausbreiten, eine Ausdehnung in die Weite fühlen:

Stehe da in all deiner Fülle, umarme das Leben, umarme die Welt mit allem, was das Leben / Gott /die Göttin dir schenkt/geschenkt hat, mit allem, wofür du dankbar bist, danken kannst.

 Arme um die eigenen Schultern legen / dich selbst umarmen:

Umarme dich selbst, mit allem, was du bist, mit all deiner Sehn-Sucht, mit deinen hellen und dunklen Seiten, mit all dem, was du an dir leiden kannst und auch dem, was du nicht leiden kannst, umarme deine Verbesserungswünsche und deine Großartigkeit.

Führe die Arme / Hände erst zum Himmel, dann zur Erde:

Danke dem Gott des Himmels und der Erde /der Göttin des Kosmos und der Erde für alle Früchte, die du empfangen hast – zähle (innerlich) gern einige auf.

Falls du draußen bist, kannst du jetzt Herbstfrüchte sammeln und mit einem Dank in einen Behälter legen – z.B. für dieses Ritual

Dankbarkeits-Ritual mit Nüssen, Kastanien, Eicheln oder ähnlichem

Sammle auf einem (oder mehreren) Herbstspaziergängen Kastanien, Eicheln oder was auch immer du in deiner Umgebung findest. Ich fülle sie gern in ein Glas, weil das so hübsch aussieht – das spielt aber keine Rolle. In einer stillen Minute/Stunde, zünde ich mir eine Kerze an, verbinde mich mit meinem Herzen und dem Göttlichen und nehme mir das Glas zur Hand. Stück um Stück nehme ich die Kastanien (ich finde immer gern Kastanien 🙂 aus dem Glas und spüre nach, wofür ich dankbar bin. Dann lege ich sie auf ein Tuch oder in ein anderes Glas und nehme mir die nächste. Bis ich einen Grund zur Dankbarkeit für jede Kastanie gefunden habe. (Wenn ich das Gefühl habe, es gibt noch viel mehr Gründe, dankbar zu sein, fange ich von vorn an.) Wenn ich wenig Zeit habe, puste ich die Kerze aus und das Ritual ist beendet. Falls ich mehr Zeit habe, schreibe ich auf, was mir so durch den Kopf ging.

Dieses Ritual kann ich immer wieder machen – es ist ja egal, ob ich mich wiederhole oder mir wieder etwas anderes einfällt – es tut einfach gut zu sehen: Es gibt sooo viele gute Gründe, dankbar zu sein – was bin ich gesegnet!

Und wenn sich das einfach falsch anfühlt?

Manchmal weiß und sehe ich das alles, doch es erreicht nicht mein Herz.
Davor sind dunkle Wolken und schmerzhafte Gefühle.
Das ist auch okay.
Wenn es mir gelingt, ich darin zu umarmen – wirklich, nicht nur im Kopf! -, dann ändert sich das auch wieder. Mal früher, mal später.
Ich kann mich zur Dankbarkeit ermuntern, doch nicht zwingen.

Und das gilt auch für dich:

Was steigt in dir auf, wenn du an den Oktober denkst?
Erntedank, Weinlese, Apfelernte oder Oktoberfest?
Raschelnde Blätter unter den Füßen und die Farbenfreude des Herbstwaldes?
Der erdige Geruch des Herbstregens, die feuchte Kühle, die sich schon breitmacht, das Aufstehen noch im Dunkeln?

Lass alles da sein, staune über die bunte Mischung aus Gefühlen, die sich zeigt und lass sie zu. Beobachte, ob du eher die fröhlichen Anlässe siehst oder die trüberen? Oder ganz ausgewogen? Lade alle Gefühle ein, die kommen wollen – sie gehören alle zu dir und „deinem“ Oktober. Bleib mit ihnen, wohin sie dich auch führen. Und erlaube dir und deinen Gefühlen, sich zu verändern, in dem Tempo, das gerade passt.

Erlaube dir deinen Oktober, deinen ganz eigenen. Mit deinen Gefühlen. Sie sind jetzt genau die richtigen!

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Dorothee Kanitz
Dorothee Kanitz

Dorothee Kanitz ist Mitglied des newslichter next level Teams, Autorin, Seelfrau und Wegbegleiterinwww.meditation-spirit-ritual.de

Ein Kommentar

  1. Ich hab mir eine Abwandlung des Tischgebetes geschaffen, dass ich als Kind noch bei meinen Großeltern kennenlernen durfte, das mir aber in seiner traditionellen Form wenig gibt.
    Ich stelle mir (nicht immer) vor jedem Essen, dass ich zubereitet habe, jede Zutat vor. Wo sie herkommt, wie sie aussieht, von welchem Tier/Pflanze/Mineral/Pilz/Alge sie stammt, wie/wo sie wächst, wie sie vorab zubereitet wurde. Wenn ich nicht weiß, wie die Pflanze aussieht,dann google ich es manchmal sogar. Und dann bedanke ich mich.

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