„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“

Foto: Imke

Als ich den neuesten Podcast von Klaus-André Eickhoff gehört habe, in dem er mit Ingmar Hornke vom „Würdezentrum“ aus Frankfurt spricht, ist dieser Psalmabschnitt (Psalm 90,12) wieder in mir aufgetaucht – wieder deshalb, weil er mir in den letzten Monaten mehrfach durch die Ge­danken schwang.

Wie existenziell dieser Ausspruch ist, ist mir beim Tod meiner besten Freundin und beim Sterben meines Vaters klar geworden. Die eine schwer an Krebs erkrankt und bei vollem Be­wusstsein über das, was mit ihr passieren soll / was sie sich für die letzte Phase wünscht, der andere mit 91 Jahren und Alzheimer-De­menz kaum noch in der Lage, sich zu äußern. So unterschiedlich die Schicksale und letz­ten Wege, so grundsätzlich das Thema, das sie berühren und das auch im Podcast ein Schwerpunkt war.

Ein Thema, das, wie Ingmar Hornke es formuliert, „wenig sexy“ ist, aber deshalb nicht weni­ger wichtig für uns alle. Und es betrifft wirklich jede/n Einzelne/n, denn es ist statistisch be­legt, dass von den nahezu 10 Milliarden Menschen, die auf der Erde wandeln, 100% sterben werden, so Hornke mit einem hörbaren Zwinkern.

Ich weiß nicht, wie es dir geht und ob du dir überhaupt schon einmal darüber Gedanken ge­macht hast, wie dein Lebensende „aussehen“ soll. Viele, die ich kenne, blenden den eigenen Tod komplett aus, wischen Gedanken daran mit Aussagen wie „Ich lebe im Hier und Jetzt und will noch dieses oder jenes erreichen!“ zur Seite, wollen von Patientenverfügung und Vollmachten nichts hören, weil sie sich dann tatsächlich und praktisch mit etwas auseinan­dersetzen müssen, was grundsätzlich erst einmal eben „nicht sexy“ ist.

Aber, ganz ehrlich? Wie sexy ist es denn, plötzlich in eine Situation zu kommen, in der es um existenzielle Fragen nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen geht und diese vielleicht nicht mehr äußern zu können?

Wem soll denn dann die Verantwortung auf die Schultern gelegt werden, mich zu begleiten? Wem lade ich die Verantwortung auf, erraten zu müssen, was mir denn vielleicht an medizi­nischen Maßnahmen zu viel wäre? Wem will ich zumuten, in dem Nebel zu tapern, den ich zeitlebens (im Hier und Jetzt) und in bewusster Entscheidung auflösen könnte?

Ich will das konkret an meinem Beispiel erläutern: Seit gut 25 Jahren gehe ich medizinisch einen anderen Weg als die meisten Menschen in meiner Umgebung, versuche mit ganzheitli­chen Methoden gesünder zu werden und zu leben und schließe deshalb bestimmte Behand­lungsmethoden für mich aus. Was nützt mir das, wenn ich plötzlich zu einem Notfall werde, aber niemandem gesagt habe, was ich will bzw. nicht will? Denn, wie mein Vater es auch schon festgehalten hatte, für mich kommen keine lebensverlängernden Maßnahmen in Be­tracht, wenn sich abzeichnet, dass sie nicht mein Leben verlängern, sondern das Leid in die Länge ziehen würden. Was würde passieren, wenn ich das nicht irgendwie (am besten in ei­nem Gespräch mit denen, die meinen Willen werden durchsetzen müssen und mit einer ent­sprechenden Patientenverfügung) festgehalten habe? Will ich meinem Mann in einer sol­chen Situation, in der er um mein Leben bangt, die Verantwortung aufbürden? Ihn mit dem Gefühl und der Sorge belasten, vielleicht eine falsche Entscheidung zu treffen, weil die Ärzte ihrer Pflicht, Leben zu erhalten (leider oft um jeden Preis) nachkommen wollen? Und was, wenn mein Mann oder nahe Angehörige eine grundsätzlich andere Entscheidung treffen würden und meinen Willen nur schwer aushalten können?

Viele, die ich kenne, wollen aber gerade diesen Schritt nicht gehen, sich bewusst auch mit dem eigenen Sterbe-Weg zu befassen.

Verständlich? Nein, aus meiner Sicht eher fahrlässig. Da gehe ich ganz mit den Aussagen aus dem Gespräch, das ich dir hier zum Nachhören verlinke:

Ingmar Hornke – jetzt wirds PERSÖNLICH (jetztwirdspersoenlich.net)
Sehr spannend und hörenswert, gerade weil es wenig sexy scheint – auch und gerade im Zu­sammenhang mit Ganzheitlichkeit und innerem Wandel, denn auch wenn ich mein Leben noch so bewusst gestalten will, betrifft mein Sterben eben auch die Menschen in meiner Umgebung und diejenigen, die dann mit mir „zu tun bekommen“ und mich im Kranken­haus, im Hospiz oder zu Hause begleiten. Was, wenn sie meinen Willen nicht mittragen kön­nen (oder wollen)? Und sei es auch nur deshalb, weil sie ihn nicht kennen?

Ich finde, dass es zum bewussten Leben gehört, sich auch mit der Tatsache auseinanderzu­setzen, dass wir sterben werden. Und wenn ich bestimmte Lebensentscheidungen treffe, ge­hört es für mich auch dazu, die Entscheidungen, die meinen Sterbeprozess bestimmen, zu treffen.

Ein weiterer Schwerpunkt des Gespräches ist übrigens der Bereich der Suizidermöglichung, Suizidassistenz und Suizidprävention (zu der eine Patientenverfügung ebenfalls gehört – die­ser Zusammenhang ist mir erst während des Gespräches klargeworden).

Das Thema Suizid ist übrigens offensichtlich gewichtiger als ich dachte. Auch deshalb lohnt sich das Hören dieser Podcast-Folge im besonderen Maße!

Ein weiterer Hinweis sei mir gestattet: Wenn ich bedenke, und das habe ich gerade im letzten Lebensabschnitt meiner Freundin so erlebt, wie besonders wertvoll die Begleitung auf Palliativstationen und Hospizen ist, dann finde ich den Hinweis auf die schwierige Finanzierung dieser Arbeit besonders wichtig: Deshalb lade ich euch ein, auch den Bonus-Talk zu hören.

Ingmar Hornke – Bonus-Talk 2 – jetzt wirds PERSÖNLICH (jetztwirdspersoenlich.net)

Uns allen wünsche ich ein gutes und bewusstes Leben und hoffe, dass unser Sterben ein ebensolches sein darf!

Herzensgrüße

Imke

© Text und Bild: imke-rosiejka.de

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10 Kommentare zu “„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
  1. Dagmar sagt:

    Liebe Imke,

    ich danke Dir aus tiefstem Herzen für Deine feinen Anregungen, Deinen so wertvollen Text….soooo schön, wieder mal von Dir etwas zu lesen….ich schätze Deine Worte sehr…Deinen Stil…Dein großzügiges Teilen….

    Auch ich habe schon mir liebe Menschen in Sterbephasen bis zum Übergang begleitet und tue dies aktuell seit einem Jahr…eingebettet in ein kraftvolles Palliativ Care Team, von welchem ich so viel lernen kann…auf so vielen Ebenen…..wofür ich dankbar bin, denn das macht mein Leben so tiefenreich….

    Wie Du und das newslichter¬Feld….Danke für das unermüdliche Hüten & Nähren dieses wunderbaren Ortes hier!!!!
    Was für ein Segenn ****

    Dagmar

    • Liebe Dagmar!
      Tief berührt von deinen Worten (ein solches Feedback tut natürlich immer gut) sitze ich hier und spüre eine warmherzige Dankbarkeit für das „newslichter-Feld“, in dem keine Themen, auch die, die nicht gerade sexy daherkommen, ausgespart werden.
      Danke dafür , liebe Bettina, dass du diesen Raum offenhältst.

      Vom Leben zum Sterben heißt übrigens auch ein Video, dass ich dazu gemacht habe, weil ich dieses Thema so wichtig finde. Hier kannst du es anschauen: https://www.youtube.com/watch?v=g1DLNv8dO9Q

      Ich wünsche uns allen ein grandioses Leben!!!

      Herzensgrüße
      Imke

  2. Miriam sagt:

    Liebe Imke, dank dir für dein kostbares Erinnern wie für die Hör-Tipps! Freu mich drauf, Ingmar Hornkes podcast zu hören und mich in die Umsetzung zu begeben. Um auch mit Gesprächen und schriftlich hinterlegter Orientierung für meine Lieben dazu beizutragen, dass mein menschliches Sterben und die Zeit drumrum ein Erfahrungs-, Wachstums-, Erkenntnisraum werde für alle, die dann mit mir sind.

  3. Meike sagt:

    Liebe Imke, vielen Dank für dein Teil-Haben-Lassen und deine Anregungen. Sooo wertvoll. Das Thema und auch wie wir noch damit umgehen.
    Ja, es ist keine leichte Aufgabe, sich dem Thema zu widmen und dennoch unerlässlich. Auch in jüngeren Jahren.
    Den Podcast höre ich mich an und auch den Bonustrack. Vielleicht geht da was, bei der Unterstützung für das Würdezentrum. Ich behalte es in meinem Fokus und meiner Aufmerksamkeit.

    Alles Liebe
    Meike

    • Liebe Meike!
      Das würde Ingmar sicher freuen … ich bewundere Menschen, die so für eine Sache brennen und sich für Menschen einsetzen, die sonst nur wenige Fürsprecher haben.
      Und am Ende können wir alle dankbar sein, wenn Hospize und Hospizdienste bestehen bleiben.
      Danke für dein Feedback und viel Freude und viele neue Einsichten beim Podcast-hören (auch die anderen Gespräche lohnen sich übrigens 😉)
      Herzensgrüße
      Imke

  4. Lia sagt:

    Einmal zwei Links geteilt zum Thema Sterben und Tod:

    Being with Love, Death and Grief – Tara Brach & Frank Ostaseski
    https://m.youtube.com/watch?time_continue=3074&v=S-Ny_ZYIKEg

    Und es gibt ein mir so sehr bedeutsames Video von Basilissa Jessberger: Das Herz für den Tod öffnen

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