Alleinsein ist nicht einsam

Nach einigen Wochen ganz allein in meiner Hütte am Meer in Norwegen stolpere ich über den Begriff „well peopled solitude“ vom Lyriker David Whyte. „Ein sorgfältig bevölkertes Alleinsein“. Ja, genau das ist es, was ich gerade lebe. Ich bin hier allein, aber gelegentlich schauen liebe Menschen vorbei, es gibt lange Telefonate und Briefe.

Denn ich will ja nicht komplett aus der Welt aussteigen, ich bin keine überzeugte Eremitin. Dafür liebe ich Menschen viel zu sehr. Und dennoch stelle ich hier wieder einmal fest: Ohne Zeiten allein verhungere ich, vermisse ich mich selbst, sehne ich mich nach all den Fragen, die mein Herz mir erst dann offenbart. „Resting into our aloneness, we inhabit our bodies as a beautiful unspoken question“ schreibt David Whyte. Es dauert eine ganze Weile, bis ich die Frage erahne, die in mir aufsteigt. Denn diese Frage oder gar Fragen brauchen große Stille. Brauchen das Lauschen meines Atems und meiner Schritte, das Beobachten der Zweige im Wind. Erst wenn ich den Regen rieche, lange bevor er kommt, weiß ich, dass meine Sinne sich weit geöffnet haben.

Was dann zum Vorschein kommt, ist nicht immer angenehm. Aber es ist eine innere, längst überfällige Reinigung. Und hinterher freue ich mich über die frischgeputzten Räume. So manches Alte ist dann ein Stück mehr abgelegt oder verabschiedet, einige Entscheidungen wurden geprüft, Weichen wurden neu gestellt. Oft sind es Millimeter, die von außen nicht sofort sichtbar sind. Aber ich weiß um den Unterschied.

In diesen Zustand der geöffneten Sinne kommen dann tiefe und leichte Begegnungen mit anderen Menschen. Ein Brief mit Worten, die sofort in die Schatzecke meines Herzens rutschen. Ein Gespräch mit einer lieben Freundin– wo Verzweiflung, Mut, Lebensfreude und Hoffnung gleichzeitig Platz haben dürfen. Ein zufällig entdecktes Gedicht. Das Wissen um die Seelenfreunde. Nicht immer sind sie noch auf dieser Erde und sind doch so nah.

Voller Dankbarkeit und Demut komme ich wieder näher an den Kern meines Selbst. Und weiß wieder etwas mehr um die Bedeutung des Weges, des Suchens, des Sehnens.
Wie gehst du mit der Sehnsucht nach dem Alleinsein um? Oder ist sie dir fremd? Was bewegt dich in solchen Zeiten?

Darüber möchte ich mit euch sprechen – in einer kostenlosen Online-Begegnung „Herzen berühren“ am 20.6 (18-19 Uhr). Anmeldung an info@vera-bartholomay.com

Vera Bartholomay ist Autorin, Seminarleiterin und Therapeutin mit Themen wie persönliche Entwicklung, ganzheitliche Körperarbeit, berufliche und private Herzensthemen. Sie unterrichtet in Deutschland, Norwegen und der Schweiz. Ihre Bücher: „Herzen berühren – Sehnsucht nach tiefen Begegnungen“, „Projekt Sehnsucht. Ein Mutmachbuch für alle, die von der Selbstständigkeit träumen“ und „Heilsame Berührung – Therapeutic Touch“. www.vera-bartholomay.com

Sharing is Caring 🧡
Posted in Kolumne Verwendete Schlagwörter:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.