Ein Brief zum neuen Jahr von Gosia

In den Tagen zum Jahreswechsel erreichte die newslichter ein Brief, der mich tief anrührte, weil er so viele Themen, Fragen und Gefühle des Lebens in dieser Umbruchszeit so wunderbar widerspiegelt. Er teilt aber auch viele Impulse und die Sehnsucht für ein einfaches Leben in Frieden und Verbundenheit. Ich freue mich, Gosias Brief hier veröffentlichen zu dürfen.

Liebe Freunde,

in den letzten Tagen hatte ich Gelegenheit und Muße, zu lesen, einen Film anzuschauen und anregende Gespräche zu führen. Ich lese ein Buch, das mich zutiefst berührt und regelrecht aufwühlt. Es heißt „Die Rückkehr des weiblichen Prinzips“ von Inaqiawa. Marlene hat es mir gegeben und hat es auf Bettinas „Newslichter“- homepage gefunden. Danke Marlene! Danke Bettina! Das Buch ist einfach geschrieben und beinhaltet keine neuen Weisheiten. Es berührt mich, weil es eine tiefe Sehnsucht in mir weckt: die Sehnsucht nach einem GANZ EINFACHEN LEBEN; IN FRIEDEN UND VERBUNDENHEIT.

Das Buch handelt von einer transformierten Welt, nach heftigen klimatischen Katastrophen und einer radikalen Umwälzung. Es ist aus der Perspektive einer 20jährigen Frau geschrieben, die in 50 Jahren lebt und sich mit der Zeit, in der wir jetzt leben auseinander setzt. Zunächst einmal macht es mich traurig zu sehen, zu spüren, dass mein Leben derzeit (noch) nicht so ist. Ich liebe mein Leben, halte es für gelungen und immer wieder sehr erfüllend. Aber….da ist etwas was fehlt. Unter anderem die Tatsache, dass die meisten Menschen auf der Erde ihr Leben wohl nicht für schön halten können, weil sie mit dem ÜBERLEBEN beschäftigt sind. Oder die Tatsache, dass unsere Erde so unaufhaltsam krankt -weil wir sie krank machen, ausbeuten, uns so sehr von ihr als Wesen entfernt haben. Aber auch hier ganz unmittelbar in meinem Leben, zu erleben wie wir ertrinken in Konsumgütern und Rausch des Materiellen. Es ist der blanke Wahnsinn und ich sehe hilflos zu, wie unsere Kinder hineingesogen werden in die Faszination des glitzernden Plastiks und ich sie nicht davor bewahren kann. Ihr alle wisst um den Zustand unserer Welt und ich möchte Euch nicht damit langweilen oder Euch „herunterziehen“. Was sich derzeit in mir ausbreitet ist eine Traurigkeit, wie ich sie kaum kenne. Ich könnte einfach nur weinen, um den Zustand unserer Erde und unserer menschlichen Spezies. Es scheint so ausweglos und ohne Hoffnung auf wirkliche Transformation. Diese Trauer fühlt sich jedoch heilsam an. Immer wieder gehe ich den Weg der Verdrängung, kneife auch in der Arbeit – angesichts der Misere unserer „Unterschichtsfamilien“ die Pobacken zusammen und lasse mich nicht berühren. Oder ich gebe mich zufrieden, weil „es halt so ist“. Oder ich sage mir, dass ich ja schon viel tue, in dem ich mich mit mir selbst beschäftige. Das ist mir grade, mit dem Buch in den Händen, nicht mehr möglich. Eine Stimme in mir schreit STOP – SO NICHT MEHR WEITER! Wir Menschen sind zu etwas anderen geschaffen als einem dumpfen Vor-uns-hin-Vegetieren. Wir tragen unermessliches Potential in uns, ein wirklich paradiesisches Leben für alle Lebewesen auf unserer Erde zu schaffen.

Einen Film habe ich vor einigen Tagen gesehen, der mich nicht mehr loslassen will. „Rebellen der Weisheit“ – fierce light, when spirit meets action“ von Velcrow Ripper, der Menschen an vielen Orten gefilmt hat, wo es um Rebellion von Herzen aus ging. Um die Kraft, die aus tiefster Seele kommt und da, wo sie sich ausdrückt wahre Wunder bewirkt. Beim Anschauen des Films habe ich ein Beschämtsein gefühlt, über meine Zurückhaltung. Darüber, dass ich mich überwiegend um mich selbst drehe. Aber auch Ratlosigkeit, weil ich KEINE AHNUNG habe was ICH tun könnte. Welchen Beitrag ICH leisten könnte. Ich sehe all das Ringen in unserer Gemeinschaft, um genau das: ein lebenswertes Leben, in Liebe und Frieden. Sehe das Bemühen jedes Einzelnen, auch mein eigenes. Und doch: etwas fehlt. Irgendwie scheint es sich immer wieder um sich selbst zu drehen. Eine Transformation ist wohl nicht möglich ohne ein „inneres Aufräumen“, ohne mit sich selbst im Reinen zu sein. Doch wann ist das Aufräumen zu Ende? Gibt es jemals ein Ende, oder wird dies unser ewiger Begleiter sein? Ich denke, dass es unerlässlich ist, sich aktiv in der Welt für wesentliche, existentielle Belange einzusetzen – sich in den Dienst von etwas Größerem zu stellen und dabei, ganz nebenbei, zu heilen.

Ich sehe auch mit Freude, dass immer wieder, hier und da, überall auf der Welt etwas Neues aufblitzt. Unerwartetes, Magisches. Sei es in der Forschung, wie im Film „bleep“ dargestellt, sei es im Zwischenmenschlichen, z.B. die wohl offiziell anerkannte „Polyamorie“ (Tagesspiegel), worauf Catherine uns hingewiesen hat. Oder Hildegards mutiger Vorstoß. Oder die wunderbare Visionsarbeit mit den jungen Menschen u.v.m. von Alwin und Marlene. Oder Bettinas Newslichter mit vielen Unterstützern. Oder dass es in Deutschland wieder das Landmark Forum gibt und Vieles, Vieles mehr, im Großen und im Kleinen. Was braucht es aber für DIE UMWÄLZUNG, die Kehrtwende zum Wesentlichen? Ich kenne rebellisches Sein aus meiner Vergangenheit. Doch eher als ein Dagegen-Sein, als Kampf gegen…nicht mit Herz und Seelenkraft. Dieses Gefühl, das „Aufbäumen“ das jetzt in mir aufkeimt, fühlt sich anders an – ernsthaft und aus dem Tiefsten meines Seins. Etwas will sich in mir ausdrücken und weiß noch nicht wie….grade bleibt nichts, als bedingungslos zu vertrauen, dass es sich mir zeigen wird. Und gleichzeitig nicht aus den Augen zu verlieren, wie ernst die Lage ist und wie ernst es mir damit ist, wirklich etwas zu bewirken. Diese Themen berühren in mir die Fragen nach einer gemeinsamen Aufgabe in unserer Gemeinschaft. Und nach einer gemeinsamen Vision!

Ich kriege gerade auf eine ganz neue Weise mit, wie wichtig es ist, dass wir uns diesen Themen zuwenden. Und einen Boden schaffen, auf dem Wesentliches Platz finden und Beitrag für die Welt aufkeimen kann. Soviel möchte ich Euch zunächst sagen von mit, in all meiner Ratlosigkeit – doch mit entflammten Herzen. Ich bete darum, dass sich mir zeigt, welches meine Aufgabe ist, damit eine „Neue Welt“ gelingen kann. Und ich bete dafür, dass wir unsere Aufgabe als Gemeinschaft finden. Und ich setze auf die Kraft jedes Einzelnen von uns, auf unsere Verbundenheit und eine gemeinsame Vision. Für das Jahr 2011 und für immer.

Grüße Euch alle aus tiefstem Herzen, wo auch immer Ihr seid!
Gosia

Gosia

Gosia

Zur Person: Gosia ist 40 Jahre alt, verheiratet und Mutter zweier Kinder von 6 und 4 Jahren. Im Raum Darmstadt ist sie als Sozialpädagogin tätig. Mit ihrer Familie lebt sie in einem kleinen Ort im vorderen Odenwald, eingebunden in einen Kreis von Menschen – die Birkengemeinschaft. Die Gemeinschaft beschäftigt sich mit Themen wie Beziehung und Bewusstwerdung und auch mit der Absicht, eine neue Welt zu kreieren, in der einfaches Leben in Frieden und Verbundenheit möglich ist. Derzeit starten einige aus der Gemeinschaft ein Projekt des gemeinsamen Wohnens, in einer generationsübergreifenden Form auf dem Lande.

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